Kein Leistungsausschluss für Ausländer, die als Familienangehörige eines Deutschen oder eines Arbeitnehmers, eines Selbständigen oder eines auf Grund des § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) Freizügigkeitsberechtigten diesem nachziehen
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12.01.2012, - L 19 AS 383/11 -, Revision anhängig beim BSG unter dem AZ.: - B 4 AS 37/12 R -
Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II i.d.F. ab dem 28.08.2007 (Art. 6 Abs. 9 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007, BGBl. I, 1970) sind Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetz/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörige für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts von den Leistungen ausgenommen.
Von diesem Leistungssauschluss werden Ausländer, die als Ehegatte eines deutschen Staatsangehörigen oder eines Arbeitnehmers, eines Selbständigen oder eines auf Grund des § 2 Abs. 3 Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) Freizügigkeitsberechtigten diesem in die Bundesrepublik nachziehen, nicht erfasst.
Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts an, dass die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nach ihrem Wortlaut, ihrem Zusammenhang, ihrem Zweck sowie den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte nicht den Nachzug eines ausländischen Ehegatten zu seinem deutschen Ehegatten erfasst.
Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II unterscheidet schon nach ihrem Wortlaut zwischen Ausländern, die ein eigenständiges Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik haben, und Ausländern, die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland allein aufgrund ihres Familienstatus haben, also ihr Aufenthaltsrecht von einer anderen Person ableiten (vgl. Thie/Schoch in LPK-SGB II, § 7 4 Aufl., Rn 25; so auch im Ergebnis SG Berlin, Urteil vom 18.04.2011 - S 201 AS 45186/09).
Die gegenteilige Auffassung, dass durch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II grundsätzlich alle Ausländer - ausgenommen der Personenkreis des § 7 Abs. 1 Satz 3 SGB II sowie Arbeitnehmer, Selbständige, Freizügigkeitsberechtigte nach § 2 Abs ... 3 FreizügG/EU - während der ersten drei Monate nach ihrer Einreise vom Leistungsbezug ausgeschlossen sind, unabhängig von der Herleitung ihres Aufenthaltsrechts (so anscheinend LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.04.2011 - L 3 AS 1411/11 ER-B -, SG Stuttgart, Beschluss vom 24.03.2011 - S 24 As 1359/11 ER - ohne nähere Begründung) ergibt sich demgegenüber nicht aus dem Wortlaut der Norm. Wenn der Gesetzgeber den generellen Ausschluss von Ausländern während der ersten drei Monate nach ihrer Einreise beabsichtigte hätte, wäre eine Differenzierung zwischen Ausländern und deren Familienangehörigen nicht erforderlich gewesen (siehe auch BT-Drs. 16/688 S. 13).
Zudem sprechen unter Berücksichtigung der gleichzeitigen Neureglung des Nachzugsrechts von ausländischen Familienangehörigen zu ihrem deutschen Familienangehörigen im Ausländerecht (§ 28 AufenthG) - wobei es für die Berechtigung des Nachzugs in der Regel nicht auf einen ausreichenden Wohnraum und der Unterhaltssicherung ankommt (vgl. Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 28 Rn 6) - sowohl systematische als auch teleologische Gründe gegen den Ausschluss eines ausländischen Ehegatten während der ersten drei Monate nach seiner Einreise zwecks Zuzugs zu einem deutschen Ehegatten aus dem Leistungssystem nach dem SGB II. Ein solcher Leistungsausschluss würde, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, die wirtschaftliche Lebensgrundlage des deutschen Ehepartners, der seinen Ehepartner trotz fehlender Unterhaltsfähigkeit während der ersten drei Monate nach seiner Einreise unterhalten müsste, gefährden.
Dabei ist die Wertentscheidung des Grundgesetzes in Art. 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, wonach es grundsätzlich allein den Ehepartnern zusteht, selbstverantwortlich und frei von staatlicher Einflussnahme den räumlichen und sozialen Mittelpunkt ihres gemeinsamen Lebens zu bestimmen. Die freie Entscheidung beider Eheleute, gemeinsam in der Bundesrepublik zu leben, verdient demnach besonderen staatlichen Schutz, falls einer der Ehepartner die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt (BVerfG Beschluss vom 18.07.1979 - 1 BvR 650/77 - = juris Rn 33).
Dieser besondere staatliche Schutz rechtfertigt nicht nur, die Zulässigkeit des Zuzugs eines ausländischen Familienangehörigen zu einem deutschen Familienangehörigen ausländerrechtlich in der Regel nicht von einem Nachweis der Unterhaltssicherung i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abhängig zu machen, sondern auch, dass ausländische Familienangehörige eines Deutschen unmittelbar nach ihrer Einreise in das Leistungssystem des SGB II einbezogen werden. Der Gesetzesbegründung, wonach EU-Bürger, die als Familienangehörige eines Deutschen in die Bundesrepublik einreisen, nicht von der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II erfasst sind (BT-Drs. 16/688 S. 13), ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber augenscheinlich davon ausgegangen ist, der Fall des Nachzugs eines ausländischen Ehegatten zu seinem deutschen Ehegatten in die Bundesrepublik werde vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht erfasst.
Denn eine Differenzierung zwischen ausländischen Ehegatten, die Unionsbürger sind, und denen, die Drittstaatenangehörige sind, hat im Gesetz keinen Niederschlag gefunden, insbesondere nicht im Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II.