Jobcenter schützen Denunzianten - diese Praxis ist ein Skandal
Berlin (ots) - Die Jobcenter sind angehalten, anonyme Anzeigen gegen Hartz-IV-Bezieher vor den Betroffenen geheim zu halten.
Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der LINKE-Vorsitzenden Katja Kipping hervorgeht, empfiehlt die Bundesagentur für Arbeit den Jobcentern, Anzeigen über eventuelle Regelverstöße von Langzeitarbeitslosen in deren Akten aufzunehmen, ihnen aber nicht zur Kenntnis zu geben.
Darüber berichtet die Tageszeitung "neues deutschland" (Montagausgabe).
Vor einer Akteneinsicht der Hartz-IV-Bezieher soll demzufolge die Anzeige aus der Akte entfernt werden.
Nur wenn es sich bei den Anzeigen nachweislich um Falschaussagen handelt, könnten die Betroffenen die Namen der Informanten in Erfahrung bringen, um juristisch gegen sie vorzugehen.
In der Regel jedoch erfahren die Langzeitarbeitslosen nichts über solche Informationen von Dritten, auf deren Grundlage die Jobcenter Entscheidungen fällen.
Nach Ansicht von Katja Kipping ist diese Praxis ein Skandal.
"Die Anzeigen beeinflussen den Fallmanager und der Betroffene weiß von nichts", so Kipping gegenüber "nd".
Ein Leistungsempfänger (Arbeitslosengeld II) wurde von einer Kundin angezeigt, er betreibe ein Fotostudio für Portrait-, Mode- und Aktfotografie und werbe hierfür auch im Internet. Hieraus erziele er Einkommen.
Der Leistungsempfänger (Kläger) fürchtet, man werde ihm das Arbeitslosengeld II kürzen oder streichen. Er will den Namen des Informanten wissen, um sich zur Wehr setzen zu können.
Die beklagte Behörde (ARGE) will aber den Namen nicht herausgeben.
Die 8. Kammer des Sozialgerichts Aachen unter Vorsitz von Vizepräsident des Sozialgerichts Dr. Martin Kühl sah hierzu auch keine Verpflichtung der Beklagten ARGE.
Es könne durchaus ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse des Informanten bestehen, das die Verwaltung nur dann nicht zu beachten habe, wenn der Anzeigende wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Angaben gemacht habe.
Dafür habe es hier keine Anhaltspunkte gegeben, zumal der Internetauftritt des Klägers den Anzeigeinhalt teilweise bestätige.
Andererseits könne sich die beklagte ARGE bei den Kläger belastenden Entscheidungen auf den Anzeigeerstatter als Zeugen nur berufen, wenn sie dessen Namen offen lege.
Da die Beklagte aber nach einer Überprüfung der Angelegenheit keine für den Kläger nachteiligen Regelungen getroffen habe, gebe es derzeit ohnehin nichts, wogegen der Kläger sich verteidigen müsse.
SG Aachen, Urteil vom 08.12.2006 - S 8 AS 48/06
Die Entscheidung über eine Preisgabe des Namens eines Behördeninformanten an den betreffenden Leistungsempfänger im Wege der Akteneinsicht oder Auskunftserteilung erfordert eine Güterabwägung zwischen den in § 25 Abs. 3 bzw. 83 Abs. 4 SGB X genannten Geheimhaltungsinteressen und dem Auskunftsinteresse des Betroffenen.
Das Geheimhaltungsinteresse eines Behördeninformanten überwiegt dann das Informationsinteresse des Leistungsempfängers, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant wider besseren Wissens oder leichtfertig falsche Behauptungen aufgestellt hat (BVerwG, Urteil vom 04.09.2003 - 5 c 48/02 - = NJW 2004, 1543). http://www.bverwg.de/entscheidungen/ents...40903U5C48.02.0