§ 6 Abs 7 der Wohnaufwendungenverordnung Berlin (WAV) ist nach summarischer Prüfung rechtswidrig und damit nichtig, da § 22b SGB II hierfür keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage bietet - angemessene Unterkunftskosten bei Unterbringung einem Wohnheim
So die Rechtsauffassung des Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 10.01.2013 - S 205 AS 26758/12 ER
1. Nach summarischer Prüfung ist § 6 Abs 7 WAufwV BE nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 22b Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB 2) gedeckt.
2. Jedenfalls ist § 6 Abs 7 WAufwV BE dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass die Übernahme der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Leistungsberechtigte auch ohne die Beteiligung der in der Verordnung genannten Stelle eine "reguläre" Wohnung anmieten kann.
Begründung: § 6 Abs. 7 WAV bietet keine Rechtsgrundlage für die Übernahme der Aufwendungen in tatsächlicher Höhe für den Fall, dass der Leistungsberechtigte auch ohne die Beteiligung der in der Verordnung genannten Stelle eine "reguläre" Wohnung anmieten kann.
§ 6 Abs. 7 WAV bestimmt keinen Fall einer Person mit einem besonderen Bedarf. Wohnungslose haben einen Bedarf an Unterkunft und Heizung wie jede andere Person auch.
Sie benötigen weder größere oder geringere Wohnflächen, mehr oder weniger Zimmer oder eine bestimmte Ausstattung für die Wohnung. Der Bedarf des Antragstellers ist kein anderer als der eines typischen 1-Personen-Haushalts.
Soweit in der Gesetzesbegründung davon die Rede ist, dass die Vorschrift auch Fälle erfassen soll, in denen vorübergehend eine besonders kostspielige Unterbringung notwendig ist (BT-Drs. 17/3404, S. 102), hat dies im Gesetz keinen Niederschlag gefunden und ist daher unbeachtlich.
Im Gesetz ist ausschließlich von Personen mit einem besonderen Bedarf die Rede. Die im Gesetz (§ 22b Abs. 3 Satz 2 SGB II) geregelten Beispiele der Behinderung oder der Ausübung des Umgangsrechts betreffen ausschließlich Personen mit besonderen Bedarfen, nämlich einem "erhöhten Raumbedarf".
Im Gesetz selbst findet sich kein Hinweis, dass § 22b Abs. 3 SGB II auch eine Ermächtigung schaffen wollte, eine Norm zu erlassen, die festlegt, dass die tatsächlichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung vorübergehend unabhängig von der (konkreten) Angemessenheit der Bedarfe zu übernehmen sind.
Die Nichtigkeit ist im Rahmen eines Verfahrens gerichtet auf individuellen Rechtsschutz inzidenter zu prüfen und zu beachten (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 55a Rn. 3).
Die Nichtigkeit betrifft ausschließlich die die (vermeintlich) besonderen Bedarfe regelnde Vorschrift des § 6 Abs. 7 WAV und nicht die WAV in Gänze.
Bei Unwirksamkeit einer Regelung besonderer Bedarfe ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgebers die Regelungen zur abstrakten Angemessenheitsgrenze für typische Bedarfe auch ohne die nichtige Regelung für besondere Bedarfe erlassen hätte; die Regelungen der allgemeinen Angemessenheitsgrenze machen auch ohne die Regelungen für atypische Bedarfslagen Sinn (vgl. Bätge, Sozialrecht aktuell 2011, 131, 136).
Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller die Anmietung "regulären" Wohnraums zu den als abstrakt angemessen angesehenen Mieten in Berlin möglich ist.
Das Bundessozialgericht geht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass wenn ein qualifizierter Mietspiegel, der in einem wissenschaftlich gesicherten Verfahren aufgestellt wurde, der Bestimmung des angemessenen Quadratmeterpreises für die Kaltmiete zugrunde liegt und entweder der Durchschnittswert dieses Mietspiegels angewandt wird oder dem Mietspiegel Aussagen zur Häufigkeit von Wohnungen mit dem angemessenen Quadratmeterpreis entnommen werden können, eine objektive Unmöglichkeit, eine Wohnung zu dem nach dem Mietspiegel angemessenen Quadratmeterpreis zu finden, zu verneinen ist, weil es in Deutschland derzeit keine allgemeine Wohnungsnot gibt und allenfalls in einzelnen Regionen Mangel an ausreichendem Wohnraum besteht (BSG, Urt. v 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R).
Konkret für Berlin hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die Tatsachenvermutung besteht, dass beim Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels mit entsprechend wissenschaftlich gesicherten Feststellungen zum Wohnungsbestand davon ausgegangen werden kann, dass es eine Wohnung zu dem nach dem Mietspiegel angemessenen Quadratmeterpreis gibt (BSG, Urt. v. 13.04.2011 – B 14 AS 32/09 R Rn. 29; vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.05.2012 - L 32 AS 741/11; LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 18.07.2012 - L 18 AS 1632/12 NZB; LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 03.04.2012 - L 32 AS 913/09; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.03.2012 - L 10 AS 1191/09).
Hinweis: Verordnung zur Bestimmung der Höhe der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Wohnaufwendungenverordnung – WAV)
Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren(LSG Bayern, Beschluss vom 18.01.2013 - L 8 AY 5/12 ER).