Das Bundessozialgericht (BSG) hat soeben in Kassel AZ. B 4 AS 204/10 R - entschieden , dass es sich entgegen der Auffassung des LSG bei dem hier streitigen Schüleraustausch um eine mehrtägige Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen des Landes Baden-Württemberg iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II handelt .
Die bundesrechtliche Regelung des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II gibt den abstrakten Rahmen dafür vor, wann Leistungen für eine mehrtägige Klassenfahrt zu erbringen sind.
Aus dem Wortlaut der Norm, der Gesetzesbegründung hierzu, ihrer systematischen Stellung innerhalb des SGB II sowie dem Sinn und Zweck der Regelung folgt jedoch, dass der bundesrechtliche Rahmen jeweils durch die landesrechtlichen Vorschriften auszufüllen ist.
Die Verbindung der Begriffe mehrtägige Klassenfahrt und schulrechtliche Bestimmungen bestimmt einerseits bundesrechtlich, dass nur Leistungen für Aufwendungen zu erbringen sind, die durch eine schulische Veranstaltung entstehen, die mit mehr als nur einem Schüler durchgeführt wird, mit mindestens einer Übernachtung und einer "Fahrt", also einer Veranstaltung, die außerhalb der Schule stattfindet.
Andererseits folgt aus der Wortlautverbindung zu dem "schulrechtlichen Rahmen", dass nach den Vorschriften des jeweiligen Bundeslandes zu bestimmen ist, ob die konkret durchgeführte Veranstaltung im Rahmen des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II regional "üblich" ist.
Nur durch die Zugrundelegung der schulrechtlichen Regelungen als Maßstab für die Legitimation des Bedarfs für die mehrtägige Klassenfahrt kann auch dem Sinn und Zweck des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II Rechnung getragen werden, die Teilhabe von Schülerinnen und Schülern bei schulischen Veranstaltungen insoweit zu gewährleisten. Welche schulischen Veranstaltungen es sind, deren Besuch zu gewährleisten ist, bestimmt sich nach dem jeweiligen Landesschulrecht.
Allein die durch die schulrechtlichen Bestimmungen geprägte Realität des Schulalltags rechtfertigt daher die Übernahme der tatsächlichen Kosten durch staatliche Transferleistungen, also derjenigen, die nach den einschlägigen Bestimmungen in dem jeweiligen Bundesland "üblich" sind.
Der hier durchgeführte Schüleraustausch überschreitet nicht den bundesrechtlichen Rahmen des § 23 Abs 3 Satz 1 Nr 3 SGB II.
Ebenso ist die Veranstaltung nach der Systematik der schulrechtlichen Normen Baden-Württembergs zu außerunterrichtlichen Veranstaltungen, den dazu ergangenen schulrechtlichen Kompetenzzuweisungen und dem ausdrücklich formulierten Ziel der schulrechtlichen Regelungen, einer mehrtägigen Klassenfahrt nach den landesschulrechtlichen Bestimmungen gleichzustellen.
Da das LSG das baden-württembergische Landesrecht unberücksichtigt gelassen hat, war der Senat auch nicht an eigener Auslegung der landesrechtlichen Regelungen gehindert .
Anmerkung: Der Sozialrechtsexperte hatte am 16.11.2011 den Tipp abgegeben, dass der Kläger vor dem BSG obsiegen wird.
Der 4. Senat des Bundessozialgerichtes beschäftigt sich am 22. November 2011 erneut mit dem Begriff Klassenfahrt BSG, Terminvorschau 22.11.2011
Der Sozialrechtsexperte, wie immer durch den schnellen und gründlichen Willi2 berichtete bereits im August (Übersicht August 2011) über die Entscheidungen des SG Dresden und des LSG Baden-Württemberg. Beide Gerichte hatten eine mehrtätige Reise nicht als Klassenfahrt im Sinne des § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB II a.F. bzw. § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II angesehen, wenn nicht die Klasse bzw. ein der Klasse gleichgestellter Verband (Jahrgagnsgstufe?) insgesamt an der Veranstaltung teilnimmt. Im nunmehr vom BSG zu behandelnden Fall des LSG BW nahmen an einem Schüleraustausch (highschool Arizona) nur ausgewählte Schüler an der Fahrt teil. Die Auswahl erfolgter anhand der Kriterien allgemeine Leistungen in der Schule und Engagement im Rahmen des Schüleraustausches. Das LSG BW hatte keine "Verletzung der Teilhaberechte" gesehen. Diese läge nur vor, wenn an der Veranstaltung die ganze Klasse teilnehme und der Schüler der Unterhaltsleistungen nach dem SGB II beziehe ausgeschlossen sei. Der 4. Senat hat die revision auf eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen.
Wie wird das BSG entscheiden?
Mein Tipp: Der 14. Senat des BSG hat in seiner Klassenfahrt-Entscheidung vom13.11.2008 -B 14 AS 36/07 R hervorgehoben, dass der Begriff der Klassenfahrt sich nach den nicht revisiblen landesrechtlichen Vorschriften sich bestimmt (§ 162 SGG). Da weder Sachsen noch Baden-Württemberg in ihren Schulgesetzen bestimmen, was eine Klassenfahrt ist, ist der Begriff an dem Wortlaut und dem Zweck des § 28 Abs. 2 Nr.2 SGB II auszulegen. In seiner Entscheidung vom 13.11.2008 hatte der 14. Senat sich lediglich mit der Frage der Kostenreduzierung auf die Angemessenen Kosten befasst und eine solche Reduzierung verneint, weil sie im gesetz in anderen Fällen ausdrücklich vorgesehen sei (vgl. § 22 Abs.1 S.1 SGB II= Kosten der Unterkunft und Heizung). Meine Argumentation hierzu: Der Klassenverband ist in der gymnasialen Oberstufe weitgehend aufgelöst und Schulfahrten finden wohl in der Regel mit den (Leistungs-)Kursen statt. Hier wurde der Schüler aufgrund seiner Leistung und Eignung ausgewählt. Diese Auswahl schließt eine Beurteilung der Reise als Klassenfahrt nicht aus. Die von den Landessozialgerichten angeführte dikriminierende Wirkung tritt hier in gleicher Weise ein wie bei der Fahrt im Leistungsverband ein und kann sogar noch stärker sein, weil der Schüler sich zunächst für die Klassenfahr qualifizierren musste. Gute Chance auf Erfolg aber nicht weil die Revision zugelassen wurde. Das LSG BW hätte die Revision zulassen müssen, weil die Frage der Abgrenzung des Begriffs Klassenfahrt grundsätzliche Bedeutung hat. Leider ist der Sozialrechtsexperte erst seit Juni 2011 "auf Sendung" und das Urteil des LSG BW datiert vom 22.06.2010, so dass der Senat des LSG sich noch keinen Überblick verschaffen konnte, dass der Begriff Klassenfahrt umstritten ist.