Über einen Hinweis von Harald Thomè, Gründungsmitglied des Erbwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles e.V. in Wuppertal, bin ich in diesen Tagen auf eine Präsentation zur Geschichte der Arbeitsmarktreformen in Deutschland gestoßen. Unter dem Titel „Geheime Pläne – Faule Früchte“ wird hier die Armutsentwicklung in den letzten vierzig Jahren nachgezeichnet. Da grundlegende Änderungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik immer einer langen Vorbereitung für ihre politische Umsetzung bedürfen, lassen sie sich nicht von heute auf morgen durchsetzen. Schon gar nicht, wenn ein Paradigmenwechsel vollzogen werden soll, wie er sich in der Agenda 2010 als (zwischenzeitlichen) Höhepunkt einer Politik der sozialen Konflikte manifestiert.
Ich persönlich verorte die Anfänge der Demontage des Sozialstaates bereits in der Mitte der 70iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Der aufmerksame Leser wird an dieser Stelle vielleicht stutzen: Richtig, das alles begann schon in der Ära Helmut Schmidt. Deshalb kann ich den andauernden Hype um diesen selbstgefälligen „Elder Statesman“ nicht nachvollziehen. Schließlich stellte bereits die sozialliberale Koalition aus SPD und FDP erste Weichen zum Abbau von Arbeitnehmerrechten und für Einschnitte bei den Lohnersatzleistungen.
Es war dann Helmut Kohl, der 1982 die „geistig-moralische Wende“ ausrief – und das auch noch bitter ernst meinte. Den damaligen Claqueren sollte schon wenige Jahre später der Jubel im Halse stecken bleiben. Das im gleichen Jahr durch den späteren Bundesbankpräsidenten und Kuratoriumsleiter der „Initative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) – einem der führenden neoliberalen Thinktanks – entwickelte „Lambsdorffpapier“ gilt heute als eine Art Drehbuch der Sozialreformen. Bereits dieses Papier zementierte die Richtungsentscheidung weg vom „Interventionsstaat“ hin zu „Eigeninitiative und Selbstversorgung.“ Dieses Konzept zum Pauperismus sollte 2005 in der Schröderschen Parole des „Forderns und Förderns“ münden, von der heute nur noch ein jämmerliches „Fordern fördern“ übrig geblieben ist.
Ohne Geleitschutz durch andere Politikbereiche wären die Reformen nicht möglich gewesen, ein derartiger Paradigmenwechsel wuchert wie ein Krebsgeschwür und durchdringt mit seinen Metastasen den sozialen Organismus. Flankiert durch die Unternehmenssteuerreform 2000, mit der die großen Konzerne um zig Milliarden entlastet wurden, durch den gewollten Aufstieg des Finanzsektors zur „Fünften Gewalt im Staate“ (R. Breuer, ehem. Dt. Bank) und schließlich den Lissabon-Strategien für den „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt“ wurde der Siegeszug der Finanzdiktatur in Deutschland und Europa erst ermöglicht. Wer heute auch nur den vagesten Schimmer haben sollte, dass die angedrohte Agenda 2020 von diesem Weg abweichen könnte, der ist nicht nur naiv, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Auch dieser nächste Frontalangriff auf den sozialen Frieden ist Teil einer langfristig angelegten Strategie und ein weiterer Schritt zur gezielten Verelendung der Massen. Vertut Euch da nicht!
Die vollständige Präsentation und dezidierte Informationen zur Rolle demokratisch nicht legitimierter Lobbyverbände wie der Bertelsmann-Stiftung finden sich hier: