§ 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung ist verfassungskonform.
§ 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist durch die Neufassung des § 40 SGB II gemäß Art. 2 Nr. 32 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl I 2011, 453) mit Wirkung zum 1. April 2011 neu eingefügt worden.
Die Vorschrift zielt auf einen Ausgleich zwischen dem Restitutionsgedanken und dem Primat materieller Rechtsverwirklichung einerseits (vgl. dazu BSG, Urteil vom 1. Juni 2010 – B 4 AS 78/09 R, Rn. 16 bis 19) und dem Gegenwärtigkeitsprinzip andererseits:
Die Neufassung bringt nach der Gesetzesbegründung das seit jeher im Sozialhilferecht anerkannte Gegenwärtigkeits- oder Aktualitätsprinzip auch im SGB II zur Geltung und betont, dass die Leistungen nach dem SGB II der Beseitigung einer aktuellen Hilfebedürftigkeit dienen (Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, 47. Erg.lfg., § 40 Rn. 148; Aubel jurisPK-SGB II, § 40 Rn. 22).
Die Vierjahresfrist sei für bedarfsabhängige Leistungen – im Vergleich zu anderen Sozialleistungen (z.B. Sozialversicherungsleistungen) – zu lang; die Verkürzung der Frist des § 44 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) diene auch der Entlastung der Leistungsträger und der Gerichte (BT-Drs. 17/3404, S. 114 f.; Groth/Luik/Siebel-Huffmann, Das neue Grundsicherungsrecht, 2011, § 16 Rn. 513).
Ebenso wie die Begrenzung der rückwirkenden Gewährung auf vier Jahre in § 44 Abs. 4 SGB X (dazu ausf. BSG, Urteil vom 23. Juli 1986 - 1 RA 31/85 - juris Rn. 17 ff. BSGE 60, 158, 161 ff.) ist auch die kürzere Sonderregelung für die bedarfsabhängige Grundsicherung für Arbeitsuchende verfassungskonform.
Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG verlangt nur die Gewährung von Leistungen, die zur gegenwärtigen Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins erforderlich sind; die rückwirkende Korrektur im Verfahren nach § 44 SGB X stellt sich aus dieser Perspektive regelmäßig als Entschädigung und nicht als verfassungsrechtlich gebotene Bedarfsdeckung dar.
Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG enthalten keine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt, rechtswidrig belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (am Maßstab von Art. 3 Abs. 1 GG so ausdrücklich: BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 - juris Rn. 33 - BVerfGE 117, 302, 315 m.w.N.).
Die unterschiedliche Behandlung von Leistungen nach dem SGB II im Vergleich zu anderen Sozialleistungen ist am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG durch die eingangs genannten Strukturunterschiede aufgrund der Bedarfsabhängigkeit gerechtfertigt.
Auch der behauptete Verstoß gegen den Vertrauensschutzgrundsatz ist nicht erkennbar. Zum einen ist hervorzuheben, dass es sich nicht um eine rückwirkende Inkraftsetzung, sondern um eine für die Zeit nach der Verkündung, nämlich ab dem 1. April 2011 wirkende Verkürzung der Frist handelt (§ 77 Abs. 13 SGB II); es finden daher die Grundsätze über die grundsätzlich zulässige unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung Anwendung.
Zum anderen war die Regelung bereits im Entwurf der Regierungsfraktionen vom 26. Oktober 2010 enthalten (BT-Drs. 17/3404) und wurde bereits während des Gesetzgebungsverfahrens Gegenstand der Fachdiskussion sowie der Diskussion in den Betroffenenforen im Internet (z.B. bei "Tacheles").