Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist rechtswidrig und aufzuheben, auch wenn dem Leistungsbezieher für die Zeit der Ableistung der Ersatzfreiheitsstrafe keine Leistungen nach dem SGB II zugestanden haben, dem Betroffenen aber nicht der Vorwurf gemacht werden kann, die Änderung vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht mitgeteilt zu haben
Dies die Rechtsauffassung des aktuell veröffentlichten Urteils des LSG Hamburg, Urteil vom 27.03.2013 - L 4 AS 343/10 .
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist rechtswidrig und aufzuheben, auch wenn dem Leistungsbezieher für die Zeit der Ableistung der Ersatzfreiheitsstrafe keine Leistungen nach dem SGB II zugestanden haben (§ 7 Abs. 4 S. 2 SGB II;vgl. BSG, Urt. vom 24.2.2011, B 14 AS 81/09 R), dem Betroffenen aber nicht der Vorwurf gemacht werden kann, die Änderung vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht mitgeteilt zu haben (Nr. 2).
Im Rahmen der hier allein in Betracht kommenden Eingriffsnorm des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X ist allerdings nicht allein erheblich, ob sich in den die Anspruchsvoraussetzungen bestimmenden tatsächlichen Verhältnissen eine wesentliche Änderung ergeben hat, sondern insbesondere auch, ob dem Betroffenen der Vorwurf gemacht werden kann, die Änderung vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht mitgeteilt zu haben (Nr. 2).
Damit ist nicht allein entscheidend, ob § 7 Abs. 4 SGB II dem Anspruch des Leistungsbeziehers nach seiner Inhaftierung entgegenstand, sondern zusätzlich, ob der Betroffene einen Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 4 SGB II überhaupt hätte erkennen können (vgl. auch Nr. 4).
Dies ist zu verneinen, da es sich nur um eine kurze Ersatzfreiheitsstrafe handelte, laufende Kosten des Lebensunterhalts weiterhin anfielen und dem Leistungsbezieher als juristischem Laien eine eindeutig zutreffende Einschätzung der Rechtslage nicht möglich war (vgl. auch Beschluss des Senats vom 12.2.2013, L 4 AS 373/12 B PKH).
Es kommt hinzu, dass die Auswirkungen einer kurzen Ersatzfreiheitsstrafe auf den Leistungsanspruch damals in Rechtsprechung und Literatur umstritten und auch noch Gegenstand von anhängigen Revisionsverfahren waren.
Hinweis:
Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Diese Bösgläubigkeit liegt entweder bei einem positiven "Wissen" oder dann vor, wenn der zum Wegfall führende Umstand eingetreten ist und der Betroffene die Auswirkungen auf die Leistungsberechtigung wegen grober Fahrlässigkeit nicht kannte (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.1986 - 7 RAr 55/84 -, SozR 1300 § 48 Nr. 22).
Ein bloßes "Wissenmüssen" genügt nicht, weshalb es nicht darauf ankommt, ob der Betroffene ernsthaft annehmen (damit rechnen) konnte, dass der Anspruch weggefallen war (vgl. BSG, Urteil vom 26.02.2003 - B 8 KN 6/02 R -, SozR 4-2600 § 101 Nr. 1).
Dabei ist auf die Abschätzung der Rechtsfolgen durch den Betroffenen nach dessen individuellem Verständnishorizont und insoweit auf eine "Parallelwertung in der Laiensphäre" abzustellen (vgl. zu § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X: BSG, Urteil vom 06.05.2009 - B 11 AL 10/08 R -, SozR 4-4300 § 144 Nr. 19).
Rechtstipp: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.10.2010 - L 1 AL 49/09
Grobe Fahrlässigkeit im Falle der Versendung einer Änderungsmitteilung mit einfachem Brief
Es ist grundsätzlich nicht grob fahrlässig (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X), wenn der nach § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I zur Mitteilung von Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen Verpflichtete - hier zur Änderung der Anschrift - ein entsprechendes Mitteilungsschreiben an die Bundesagentur für Arbeit mit einfachem Brief verschickt.
Eine Pflicht zur Erkundigung nach dem Eingang der Mitteilung kann bei besonderen Umständen des Einzelfalls bestehen
Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock- Sozialberater.