Der Rechtsbegriff der "unabweisbar gebotenen" Leistungen, auf deren Höhe eine Leistungskürzung auf der Rechtsfolgenseite der Norm beschränkt ist, ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der Leistungsumfang das menschenwürdige Existenzminimum nicht unterschreiten darf
Der Rechtsbegriff der "unabweisbar gebotenen" Leistungen, auf deren Höhe eine Leistungskürzung auf der Rechtsfolgenseite der Norm beschränkt ist, ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der Leistungsumfang das menschenwürdige Existenzminimum nicht unterschreiten darf (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.02.2013 - L 15 AY 2/13 B ER; SG Lüneburg, Beschluss vom 13.12.2012 - S 26 AY 26/12, SG Düsseldorf, Beschluss vom 19.11.2012 - S 17 AY 81/12 ER, SG Altenburg, Beschluss vom 11.10.2012 - S 21 AY 3362/12 ER; SG Köln, Beschluss vom 25.01.2013 - S 21 AY 6/13 ER).
§ 1a AsylbLG ist - unabhängig von den Gründen der darin vorgesehenen Leistungskürzung bzw. seiner Voraussetzungen - (nur) dann mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, wenn die "unabweisbar gebotenen" Leistungen das menschenwürdige Existenzminimum nicht unterschreiten.
Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verbietet eine Kürzung der Leistungen nach dem AsylbLG auf ein wertmäßiges Niveau unterhalb desjenigen der Grundleistungen entsprechend der Übergangsregelung des BVerfG zu § 3 AsylbLG.
Denn der Umfang dieser Grundleistungen geht nicht über die bloße Existenzsicherung hinaus. Zugleich muss das Existenzminimum entsprechend der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 und 2/11 (ähnlich schon BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 zur Höhe der Regelleistungen nach dem SGB II) "in jedem Fall und zu jeder Zeit" sichergestellt sein bzw. "stets" den gesamten existenznotwendigen Bedarf eines jeden individuellen Grundrechtsträgers decken.
Eine dementsprechende verfassungskonforme Auslegung des § 1a AsylbLG hält der Senat bei summarischer Prüfung für möglich und geboten:
Eine verfassungskonforme Auslegung des § 1a AsylbLG in dem zuvor genannten Sinne ist auch unerlässlich, weil die Vorschrift anderenfalls nicht mit dem in Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar wäre. Dieses vom BVerfG im Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 und 2/11 erkannte Grundrecht begründet eine verfassungsrechtliche Garantie der Existenzsicherung als Menschenrecht.
Es umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen (Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit) als auch die Sicherung eines Mindestmaßes an sozialer Teilhabe (so auch schon BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 zur Höhe der Regelleistungen nach dem SGB II).
Als Leistungsanspruch ist es allerdings vom Gesetzgeber zu konkretisieren; diesem obliegt es, seine Entscheidung im Rahmen der Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Anspruchs an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen auszurichten.
Das Minimum für die Existenz bezeichnet vielmehr bereits denklogisch einen nicht unterschreitbaren Kern. Der gesamte Leistungsumfang des Existenzminimums muss somit zugleich sein Mindestinhalt sein (so auch Neskovic/Erdem, Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV - Zugleich eine Kritik am Bundesverfassungsgericht, in SGb 2012, S. 134 ff., 137), der "in jedem Fall und zu jeder Zeit" gewährleistet sein muss.
Rechtstipp aktuell: Anderer Auffassung: LSG Thüringen vom 17.01.2013 - L 8 AY 1801/12 B ER sowie SG Münster vom 27.02.2013 - S 12 AY 11/13 ER
Anmerkung: Anderer Auffassung auch ganz aktuell - Sozialgericht Stade, Beschluss vom 05.03.2013 - S 33 AY 53/12 ER
Die Gewährung eingeschränkter Leistungen gemäß § 1a AsylbLG ist auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 - unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig. Eine Orientierung an § 26 SGB XII erscheint geboten.
Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock- langjähriger Sozialberater des RA L. Zimmermann.
Zitat von Willi SchartemaDer Rechtsbegriff der "unabweisbar gebotenen" Leistungen, auf deren Höhe eine Leistungskürzung auf der Rechtsfolgenseite der Norm beschränkt ist, ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der Leistungsumfang das menschenwürdige Existenzminimum nicht unterschreiten darf
Der Rechtsbegriff der "unabweisbar gebotenen" Leistungen, auf deren Höhe eine Leistungskürzung auf der Rechtsfolgenseite der Norm beschränkt ist, ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der Leistungsumfang das menschenwürdige Existenzminimum nicht unterschreiten darf (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.02.2013 - L 15 AY 2/13 B ER; SG Lüneburg, Beschluss vom 13.12.2012 - S 26 AY 26/12, SG Düsseldorf, Beschluss vom 19.11.2012 - S 17 AY 81/12 ER, SG Altenburg, Beschluss vom 11.10.2012 - S 21 AY 3362/12 ER; SG Köln, Beschluss vom 25.01.2013 - S 21 AY 6/13 ER).
§ 1a AsylbLG ist - unabhängig von den Gründen der darin vorgesehenen Leistungskürzung bzw. seiner Voraussetzungen - (nur) dann mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, wenn die "unabweisbar gebotenen" Leistungen das menschenwürdige Existenzminimum nicht unterschreiten.
Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verbietet eine Kürzung der Leistungen nach dem AsylbLG auf ein wertmäßiges Niveau unterhalb desjenigen der Grundleistungen entsprechend der Übergangsregelung des BVerfG zu § 3 AsylbLG.
Denn der Umfang dieser Grundleistungen geht nicht über die bloße Existenzsicherung hinaus. Zugleich muss das Existenzminimum entsprechend der Entscheidung des BVerfG vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 und 2/11 (ähnlich schon BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 zur Höhe der Regelleistungen nach dem SGB II) "in jedem Fall und zu jeder Zeit" sichergestellt sein bzw. "stets" den gesamten existenznotwendigen Bedarf eines jeden individuellen Grundrechtsträgers decken.
Eine dementsprechende verfassungskonforme Auslegung des § 1a AsylbLG hält der Senat bei summarischer Prüfung für möglich und geboten:
Eine verfassungskonforme Auslegung des § 1a AsylbLG in dem zuvor genannten Sinne ist auch unerlässlich, weil die Vorschrift anderenfalls nicht mit dem in Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG garantierten Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar wäre. Dieses vom BVerfG im Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 und 2/11 erkannte Grundrecht begründet eine verfassungsrechtliche Garantie der Existenzsicherung als Menschenrecht.
Es umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen (Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit) als auch die Sicherung eines Mindestmaßes an sozialer Teilhabe (so auch schon BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 zur Höhe der Regelleistungen nach dem SGB II).
Als Leistungsanspruch ist es allerdings vom Gesetzgeber zu konkretisieren; diesem obliegt es, seine Entscheidung im Rahmen der Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Anspruchs an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen auszurichten.
Das Minimum für die Existenz bezeichnet vielmehr bereits denklogisch einen nicht unterschreitbaren Kern. Der gesamte Leistungsumfang des Existenzminimums muss somit zugleich sein Mindestinhalt sein (so auch Neskovic/Erdem, Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV - Zugleich eine Kritik am Bundesverfassungsgericht, in SGb 2012, S. 134 ff., 137), der "in jedem Fall und zu jeder Zeit" gewährleistet sein muss.
Rechtstipp aktuell: Anderer Auffassung: LSG Thüringen vom 17.01.2013 - L 8 AY 1801/12 B ER sowie SG Münster vom 27.02.2013 - S 12 AY 11/13 ER
Anmerkung: Anderer Auffassung auch ganz aktuell - Sozialgericht Stade, Beschluss vom 05.03.2013 - S 33 AY 53/12 ER
Die Gewährung eingeschränkter Leistungen gemäß § 1a AsylbLG ist auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11 - unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig. Eine Orientierung an § 26 SGB XII erscheint geboten.
Der Beitrag wurde erstellt von Detlef Brock- langjähriger Sozialberater des RA L. Zimmermann.
Hartz-IV-Sanktionen verfassungswidrig? Streitgespräch 25.6.2013 Unter dieser Überschrift fand am 25.6.2013 in Berlin ein Streitgespräch zwischen Wolfgang Neškovi? (Richter am Bundesgerichtshof a. D., unabhängiger Bundestagsabgeordneter) und Prof. Dr. Uwe Berlit (Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht) statt.
Anlass war der Aufsatz von Wolfgang Neškovi? und Isabel Erdem: "Zur Verfassungswidrigkeit von Sanktionen bei Hartz IV" (in: Die Sozialgerichtsbarkeit, Nr. 03/12) von dem wir (AG Sanktionen der Berliner Kampagne gegen Hartz IV) vermuteten, dass er außerhalb der Fachöffentlichkeit nur punktuell bekannt geworden ist.
Die Frage der Verfassungskonformität der Sanktionsregelungen ist -- wenngleich faktisch nur aus Sicht einer kleinen Minderheit der JuristInnen -- seit Jahren umstritten. Während das Gros der JuristInnen der Meinung ist, es käme "nur" auf eine verfassungskonforme Anwendung der Regeln an, sieht besagte Minderheit vor allem Teilbereiche als nicht verfassungskonform an. Neškovi?/Erdem dagegen argumentieren, die Sanktionsregelungen seien grundsätzlich verfassungswidrig.
Angesichts der folgenschweren und bis in die Arbeitswelt reichenden Wirkungen von Sanktionen, hofften wir, mit dem Streitgespräch einen (wenn auch kleinen) Impuls zu einer längst fälligen Debatte zu geben. Ob dies gelungen ist, mögen andere beurteilen.
Dass die Frage bedeutsam ist, zeigte das starke Interesse an der Veranstaltung. Es war so groß, dass nicht alle der rund 130 Besucher -- darunter viele Juristen und Erwerbslose, aber auch Sozialpolitiker und Sozialberater -- einen Sitzplatz fanden.
Während der dreistündigen Debatte herrschte überaus konzentrierte Atmosphäre im Saal. Wenngleich eine Annäherung zwischen den verschiedenen Positionen kaum erwartet werden konnte, so war doch die weitgehend konstruktive Debatte ausgesprochen spannend und aufschlussreich, die unterschiedlichen Positionen begründet und in ihrer Genese bzw. jeweiligen Logik zunächst nachvollziehbar.
Trotzdem mussten für den Anfang -- auch wenn die Kontrahenten ihre Positionen ausführlich erläuterten -- entscheidende Fragen offen bleiben. Zum einen wurden einzelne Argumente nicht hinreichend ausgetauscht oder einer (annähernden) Klärung zugeführt: so gab es z. B. keine Antwort auf den Hinweis, dass der Nicht-Annahme-Beschluss des BVerfG vom 7.7.2010 -- 1 BvR 2556/09 -- sowohl von der Bundesregierung als auch überwiegend in der Literatur aus dem Zusammenhang gerissen wird und als Beleg für die Berechtigung von Sanktionen nicht taugt. Zum anderen fehlte die Zeit, grundsätzlichen Fragen nachzugehen, etwa der Frage, ob die Schlussfolgerungen aus der rechtsdogmatischen Feststellung tragfähig sind, dass es sich beim Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht um ein Abwehr-, sondern um ein Leistungsrecht handele.
Weitere Fragen, die einer Fortsetzung und Vertiefung der Debatte bedürfen, sind z. B.:
-- Ob angesichts der nach wie vor außerordentlich kritikwürdigen Organisation der JobCenter (überforderte, vielfach befristet eingestellte und unzureichend ausgebildete Mitarbeiter/innen) und der damit zusammenhängenden Folgen (die seit Einführung des SGB II immer wieder beklagte Willkür in den JobCentern) eine verfassungskonforme Anwendung der Sanktionsregeln überhaupt gewährleistet werden kann; Stichwort Rechtsstaatlichkeit, eine jede Behörde muss in die Lage versetzt sein, rechtsstaatlichen Grundsätzen zu genügen.
-- Ob in Anbetracht einer inzwischen stark veränderten und sich weiter verändernden „Arbeitsgesellschaft" (in der die Möglichkeit nicht mehr selbstverständlich ist, über Erwerbsarbeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten) die Obliegenheitspflichten als Voraussetzung einer Leistungsgewährung noch berechtigt sind.
Dessen ungeachtet wurden in der Veranstaltung doch zahlreiche Argumente aufgezeigt, die zum Beispiel in Prozessführung und Beratung genutzt werden können.
Zur Veranschaulichung der Argumente wie auch der Veranstaltung selbst siehe:
Kleine Zusammenstellung von Reaktionen auf das Streitgespräch: