LSG NRW: Ortsabwesenheit im SGB II gilt auch für sog. Aufstocker
Auch in Fällen fehlender "Arbeitslosigkeit" bzw. des nur aufstockenden Bezuges von Leistungen nach dem SGB II bedarf es einer Zustimmung zur Ortsabwesenheit.
Unter Verweis auf die gesetzlichen bzw. arbeitsvertraglichen Regelungen zum Urlaub kann nicht ein genereller Anspruch eines Beziehers von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Zustimmung einer vierwöchigen Ortsabwesenheit hergeleitet werden.
So die Rechtsansicht des LSG NRW, Beschluss vom 03.04.2013 - L 19 AS 330/13 B rechtskräftig
Nach der EAO ist regelmäßig nur die Zustimmung zu einer bis zu drei Wochen kalenderjährlich umfassenden Ortsabwesenheit möglich; auch die in § 3 Abs. 3 EAO vorgesehene Verlängerung um drei Tage in Härtefällen entspräche dem Anliegen der Klägerin nicht.
Hinzuweisen ist darüberhinaus darauf, dass die von der Klägerin aufgeführten Gesichtspunkte mehrjähriger erfolgreicher Berufsausübung und längerer Abwesenheit von ihrem Heimatland qualitativ einem Härtefall nicht gleichstehen, ebenso wenig die behauptete Erkrankung einem unabwendbaren Rückkehrhindernis (vgl. fachliche Hinweise der Bundesagentur zu § 7 SGB II, 7.67, 7.68). Insoweit fehlt es an jeglichem Beleg von Ursache und Ausprägung der eine rechtzeitige Rückkehr hindernden Erkrankung der Klägerin während ihres Aufenthalts in Thailand.
Die Leistungsbezieherin verneint zu Unrecht ihre Verpflichtung zur Ortsanwesenheit, weil sie wegen Ausübung ihrer selbständigen Tätigkeit nicht arbeitslos sei und als sog. "Aufstockerin" Leistungen für sich und ihre Bedarfsgemeinschaft nur ergänzend zu den Einkünften aus selbständiger Tätigkeit beziehe.
Der Begriff der Arbeitslosigkeit findet sich nicht im Katalog der Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Arbeitslosigkeit gehört auch nicht zu den Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der EAO.
Nach der hier noch anwendbaren Ursprungsfassung von § 7 Abs. 4a SGB II (Fassung des Gesetzes vom 20.07.2006, BGBl I 1706 mit Wirkung vom 01.08.2006), die wegen des bislang unterbliebenen Erlasses der im Nachfolgerecht vorgesehenen Verordnung (§§ 7 Abs. 4a, 13 Abs. 3, 77 Abs. 1 SGB II i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl I 850) weiterhin gilt, wird der Zusammenhang zwischen Leistungsanspruch und Ortsanwesenheit wie folgt hergestellt:
"Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der (EAO) definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend."
Nach dem isoliert betrachteten Wortlaut ist damit bereits der bloße Bezug von Leistungen nach dem SGB II Entstehungsgrund der prinzipiellen Verpflichtung zum Aufenthalt im zeit- und ortsnahen Bereich mit der einzigen Ausnahme einer (vorherigen) Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners.
Diese zunächst unterschiedslose Verpflichtung ist durch nachfolgende Rechtsprechung in dem Sinne klargestellt worden, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung von ALG II alle erfüllt sein müssen (Urteil des BSG vom 16.05.2012 - B 4 AS 166/11 R).
Auch nach der Rechtslage ab dem 01.04.2011 bzw. den Materialien zur Einführung von § 7 Abs. 4a SGB II n.F. finden sich keinerlei Hinweise auf die von der Klägerin postulierte Einschränkung der Anwendbarkeit von § 4a SGB II in Fällen fehlender "Arbeitslosigkeit" bzw. des nur aufstockenden Bezuges von Leistungen nach dem SGB II.
Der Begriff der "Arbeitslosigkeit" findet sich weder im nachfolgenden Gesetzesrecht noch in den Materialien hierzu.
Nach § 7 Abs. 4a SGB II der ab dem 01.04.2011 geltenden Fassung entfällt der Leistungsanspruch bei Ortsabwesenheit ohne Zustimmung des zuständigen Trägers nur noch bei "erwerbsfähigen Leistungsberechtigten". Die Zustimmung zur Ortsabwesenheit während eines Regelzeitraumes von insgesamt drei Wochen im Kalenderjahr kann erteilt werden, wenn für den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches kein wichtiger Grund vorliegt und die Eingliederung in Arbeit nicht beeinträchtigt. Sie ist zu erteilen, wenn ein wichtiger Grund (z.B. Heilbehandlungen) vorliegt.
Das Eingliederungsziel des SGB II ist bei der Antragstellerin nicht bereits deshalb erreicht, weil sie als sog. "Aufstockerin" nur noch ergänzender Leistungen nach dem SGB II bedarf.
Dies wäre erst bei (vollständiger) Unabhängigkeit vom Bezug steuerfinanzierter Grundsicherungsleistungen der Fall. Die Leistungen des SGB II sollen dazu beitragen, dass die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können (§ 1 Abs. 2 S. 1 SGB II).
Solange dieses Eingliederungsziel nicht erreicht ist, unterfallen alle erwerbsfähigen Leistungsberechtigten dem in § 2 SGB II aufgestellten "Grundsatz des Forderns" und müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen, insbesondere auch aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung mitwirken, alle Möglichkeiten nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte müssen hierbei auch ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen (§ 2 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 SGB II).
Die Klägerin ist daher als Aufstockerin nicht i.S.d. Gesetzes (vollständig) eingegliedert und zur aktiven Mitwirkung bei der Verwirklichung des Eingliederungszieles einer vollständigen Unabhängigkeit - auch ihrer Bedarfsgemeinschaft - von Leistungen nach dem SGB II verpflichtet.
Damit unterfällt sie ohne Zweifel den vorgestellten Regelungen zur nur ausnahmsweise zulässigen Ortsabwesenheit und bedarf einer Zustimmung nach § 7 Abs. 4a SGB II i.V.m. der EAO.
Rechtstipp: RiLSG NRW Wolff-Dellen in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl. § 7 Rn 51 mit Verweis auf BT-Drs 17/3404, 92 zu lit. e:
In "Vollzeitbeschäftigte" brauchen keine besondere Zustimmung zur Ortsabwesenheit.
So darf dieser Vollzeitbeschäftigte auch einen eventuellen längeren Jahresurlaub (> 3 Wochen) nehmen.