Mit allen Mitteln Spiegel.de Manipulation in den Jobcentern
Von Dahlkamp, Jürgen; Dettmer, Markus; Tietz, Janko Die Arbeitsagenturen gelten als durchgetrimmte Vorzeigebehörden. Doch ein vertraulicher Rechnungshofbericht deckt auf: Sie lassen ausgerechnet die Kunden im Stich, für die sie da sein sollten, und manipulieren die Statistik. Ende 2011, nur noch Wochen bis zum Jahreswechsel. Und irgendwo im Land sitzt ein Mann in einer Behörde, der die Nerven verliert. Wie er heißt, wo sein Schreibtisch steht? Dazu macht der Bundesrechnungshof in seinem vertraulichen Bericht keine Angaben. Aber die Prüfer zitieren eine E-Mail von ihm. Eine Mail, die seine ganze Not offenbart. Und noch mehr: einen Skandal. Eine Betrugsmentalität, die sich anscheinend durch die ganze Bundesagentur für Arbeit zieht. Und noch viel mehr: Die Mail entlarvt ein System, das der Rechnungshof in diesem Bericht nun als krank beschreibt, geradezu irre, mindestens aber irregeleitet. Die deutsche Arbeitsverwaltung. Der Mann, der die Mail verschickt, führt in seiner Agentur eines dieser Teams, die Arbeitslose in Jobs bringen sollen. Was seine Vermittler tun, wird gezählt, beziffert, und am Ende sind es die Zahlen, nicht die Schicksale dahinter, die über alles entscheiden: Ob seine Agentur die Zielvorgaben von oben schafft, aus der Regionaldirektion und der Zentrale in Nürnberg. Ob sie damit im Vergleich zu anderen Agenturen vorn oder hinten liegt. Ob der Mann und seine Vorgesetzten eine große, kleine oder gar keine Leistungsprämie kassieren. Eine der Zahlen, auf die es dabei ankommt, ist die Arbeitslosigkeit in Tagen - wie lange also die betreuten Kunden im Schnitt schon ohne Job sind. Doch genau da hapert es: Das Team hat zu viele "Langläufer", die den Schnitt versauen. Und deshalb zieht der Chef eine Art Joker: IFLAS. Ein Sonderprogramm, eigentlich gedacht, um Arbeitslose wieder fit für den Berufseinstieg zu machen. Aber worauf es jetzt ankommt: Wer an IFLAS teilnimmt, zählt nicht für den Schnitt. So schreibt der Teamleiter ganz unverblümt an seine Leute: "Ich bitte Sie alle, mit den Kunden zu sprechen und Teilnahmemöglichkeiten an IFLAS zu prüfen" - selbst wenn der Kunde "bereits 64 Jahre ist" und damit kurz vor der Rente steht. "Vielleicht könnte sich der eine oder andere ältere Kunde für privat einen PC-Kurs vorstellen" - für privat, nicht für die Arbeit, die es ohnehin nie mehr geben wird. Der wahre Sinn der sinnlosen Kurse: "Es geht darum, so viele wie möglich aus der Berechnung zu bekommen, mit allen Mitteln, denn wir haben zum Jahresende ganz viele mit Arbeitslosengeldanspruch 720 Tage; die alle zusammen können unsere gute Arbeit zunichte machen." Und weil offenbar der Druck so gewaltig ist, das angepeilte Ziel zu packen, fällt die nächste Mail noch drastischer aus: "Über Sinn und Unsinn brauchen wir da nicht diskutieren, das dient einzig und allein unserer Zielerreichung. Mir ist es dabei vollkommen ,schnuppe', welche ,Fortbildung' durchlaufen wird. Wichtig ist, dass die Langläufer rausfallen." Ein Einzelfall? Nur ein übereifriger, überforderter Teamleiter? Nicht, wenn man dem Bundesrechnungshof glauben darf. In seinem schonungslosen Prüfbericht ist die Rede von "Manipulationen" und "Entwicklungen, die dem gesetzlichen Auftrag zuwiderlaufen", er prangert "Fehlsteuerungen" und "rechtswidriges Handeln" an, er empfiehlt gegebenenfalls "personalrechtliche" und "strafrechtliche Konsequenzen". Was beim Lesen an DDR-Zustände erinnert - blinde Planwirtschaft, unbedingte Zielerfüllung, egal wie, egal warum, egal wofür -, hält der Rechnungshof nicht für die Ausnahme, sondern für Alltag in den 156 Arbeitsagenturen im Land. Sieben Agenturen hat er für seinen Bericht drei Monate lang durchleuchtet, dazu noch sieben Regionaldirektionen eine Etage höher. "Die Tatsache, dass wir in allen geprüften Agenturen Fehlsteurungen festgestellt haben, zeigt, dass es sich um ein grundsätzliches Problem handelt", heißt es im Fazit.