Sanktion kann nicht für mehrere Pflichtverletzungen gleichzeitig erfolgen. Zu einer (weiteren) Absenkung des Alg II bei wiederholten Meldeversäumnissen iS des § 31 Abs 3 Satz 3 SGB II mit einem jeweils erhöhten Absenkungsbetrag bedarf es einer vorangegangenen entsprechenden Feststellung eines ggf weiteren Meldeversäumnisses mit einem Absenkungsbetrag der niedrigeren Stufe (BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R). Nach dieser Entscheidung des Bundessozialgerichtes muss der Leistungsberechtigte vor der Feststellung eines erneuten Pflichtverstoßes, etwa gegen die Verpflichtung sich bei dem Jobcenter zu melden, bereits vorher einmal „sanktioniert“ worden sein. Nur wenn bereits durch einen wirksam gewordenen Bescheid (§ 39 Abs.1 SGB X) einen Sanktion mit einem niedrigeren Absenkungsbetrag festgestellt wurde, kann eine weitere Absenkung durch einen nachfolgenden Bescheid erfolgen. Ein schriftlicher Verwaltungsakt wird mit der Bekanntgabe wirksam, d.h. unter Abwesenden mit dem Zugang beim Adressaten(§ 37 Abs. 2 SGB X).
Pflichtverstoss muss subjektiv zurechenbar sein.
Eine Sanktion kann von dem Leistungsträger nur festgestellt werden, wenn der Verstoß gegen eine Meldeaufforderung dem Leistungsberechtigten subjektiv vorwerfbar ist (BSG a.a.O. Rn. 28). Befand sich der Leistungsberechtigte in unverschuldeter Unkenntnis über die Meldepflicht, bzw. frühzeitigen Arbeitslosmeldung (drei Monate vor Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses)nach dem bis zum 31.12.2008 geltenden § 37b SGB III so kann keine Sperrzeit festgestellt werden (BSG, Urteil vom 25.05.2005 – B 11a/11 AL 81/04 R), weil dem Leistungsberechtigten die Unkenntnis nicht zurechenbar ist.
Konnte der Leistungsberechtigte davon ausgehen, dass eine ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit ihn von der Pflicht zu Wahrnehmung des Meldetermins befreit, ist die Säumnis ihm nur zurechenbar, wenn der Leistungsträger ihn vorher darauf hingewiesen hat, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht von der Wahrnehmung des Meldetermins befreit (BSG, Urteil vom 09.11.2010 a.a.O.). Eine Sanktion ist auch nur dann verfassungsgemäß, wenn dem Leistungsberechtigten gleichzeitig mit einer umfassenden Sanktion Sachleistungen angeboten werden (BSG, Urteil vom 09.11.2010 a.a.O.). Da in dem konkreten Fall dem Leistungsberechtigten Sachleistungen angeboten wurden und dieser hiervon auch Gebraucht machte, musste das Bundessozialgericht sich nicht näher damit auseinandersetzen, ob eine Sanktion ein unzulässiger Eingriff in das verfassungsrechtlich gesicherte Rechts auf Sicherung der menschenwürdigen Existenz betroffen ist (Art 1. Abs. 2, 20 Abs. 2 GG).
Sanktionen um mehr als 40% der Regelleistung sind ohne Substitution durch Sachleistungen verfassungswidrig.
Der Gesetzgeber hat hinsichtlich der Sicherung der physischen Existenz nur einen geringen Gestaltungsspielraum, kann allerdings darüber entscheiden, ob Leistungen als Geld oder Sachleistungen gewährt werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 Bvl 1/09, 3/09, 4/09). Eine völlige Absenkung der Regelleistung oder der Leistungen für Unterkunft und Heizung ist daher verfassungsrechtlich nicht zulässig. Die Absenkung der Regelleistungen wird daher bei verfassungskonformer Auslegung des § 31 SGB II nur um einen Betrag bis zu 40% der Regelleistung (359 EUR * 0,4 = 143,60 EUR) ohne Substitution durch Sachleistungen zulässig sein. Die in der Regelleistung enthaltenen Positionen für Ernährung, Bekleidung, Gesundheits-, Körperpflege und Haushaltenergie sowie die Kosten für Unterkunft und Heizung müssen weiter gewährt oder durch Sachleistungen ersetzt werden müssen.
Etwa 60% der Regelleistungen wie sie nach der EVS 2008 für die vorgenannten Bedarfspositionen ermittelt wurden müssen dem Leistungsberechtigten erhalten bleiben. Ggf. muss noch ein Inflationsausgleich noch hinzuzurechnen werden.
Bereits der Wortlaut des § 31 Abs 3 Satz 3 SGB II spricht gegen eine zeitgleiche Minderung durch mehrere parallele Absenkungsbescheide bei weiteren Meldepflichtverletzungen innerhalb eines bereits laufenden Sanktionszeitraums, weil er von einer einheitlichen Minderung, nicht jedoch von mehrfachen Absenkungen des Alg II wegen wiederholter Meldeversäumnisse ausgeht. Entsprechend sah § 31 Abs 3 Satz 1 SGB II in seiner Fassung bei Inkrafttreten des SGB II (BGBl I 2003, 2954) ausdrücklich vor, dass das Alg II bei wiederholter Pflichtverletzung "zusätzlich um jeweils den Vomhundertsatz der nach § 20 maßgebenden Regelleistung gemindert" werden sollte, um den es in der ersten Stufe gemindert worden sei.
Auch in den Gesetzesmaterialien wird von dem Konzept einer Minderung um "zusätzliche" Beträge, nicht jedoch von einer Kumulation von Absenkungsbescheiden ausgegangen (vgl Entwurf eines Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch [Kommunales Optionsgesetz], BT-Drucks 15/2816 S 12). Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. 7. 2006 (BGBl I 1706) sollte die Struktur des § 31 Abs 3 SGB II mit Wirkung zum 1. 1. 2007 nur insofern geändert werden, als nunmehr wiederholte Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres seit Beginn des vorangegangenen Absenkungszeitraums (§ 31 Abs 3 Satz 4 SGB II) neue Sanktionsereignisse darstellen, wiederholte Obliegenheitsverletzungen also nicht mehr - wie zuvor - nur dann sanktioniert werden konnten, wenn die zweite Pflichtverletzung und die daraus resultierende Absenkung des Alg II innerhalb des bereits bestehenden Sanktionszeitraums von drei Monaten liegen (BT-Drucks 16/1410 S 25).
Mit der Anknüpfung an den Jahreszeitraum wollte der Gesetzgeber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen (BT-Drucks aaO). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er - über die bisherige Rechtslage hinausgehend - Obliegenheitsverletzungen innerhalb eines bereits laufenden Sanktionszeitraums gleichzeitig in einem erhöhten Umfang sanktionieren wollte.