SGB X § 45, 48 Kann der Leistungsträger einen Bewilligungsbescheid nach § 48 SGB X wegen Einkommenserzielung zurücknehmen, wenn bei Antragstellung bereits feststand, dass im Bewilligungszeitraum Einnahmen erzielt werden?
Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X).
Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X).
Bewilligt ein Leistungsträger während des laufenden Verwaltungsverfahrens und in Kenntnis des Bestehens eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld I Leistungen nach dem SGB II, kann eine Aufhebung dieser Bewilligungsentscheidung nach dem Zufluss von Arbeitslosengeld I nicht auf § 48 SGB X gestützt werden.
Eine entsprechende Bewilligungsentscheidung lag zwar zum Zeitpunkt der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II noch nicht vor. Der Beklagten waren durch die Antragsunterlagen allerdings die Vorbeschäftigungszeiten der Klägerin, der Vorbezug von Arbeitslosengeld I und der laufende Antrag auf Arbeitslosengeld I bekannt.
Es war aus diesen Umständen und unter Berücksichtigung des Vorschussanspruchs gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 SGB I für die Beklagte ohne Weiteres ersichtlich, dass – wie geschehen – mit einer Realisierung des Arbeitslosengeldanspruchs der Klägerin noch im Mai 2009 gerechnet werden konnte.
Dies gilt erst Recht vor dem Hintergrund, dass im vorliegenden Fall Arbeitslosengeld I nach einer selbständigen Zwischenbeschäftigung weiterbewilligt wurde und es sich um keine Neubewilligung handelte.
Das Bestehen eines Restanspruchs auf Arbeitslosengeld I war der sachbearbeitenden Stelle der Beklagten laut Aktenvermerk vom 13.05.2009 auch positiv bekannt.
Im Übrigen wäre es Sache der Beklagten gewesen, im Rahmen der Amtsaufklärung (§ 20 SGB X) bei ihrer Arbeitslosengeld I-Stelle nachzufragen, wie lange die dortige Anspruchsprüfung andauern und wann mit der Aufnahme von Zahlungen bzw. ggf. Vorschüssen zu rechnen war.
Dies hat die Beklagte unterlassen und damit die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II nicht vollständig geprüft. 21
Da vorliegend ein gesicherter und alsbald realisierbarer Anspruch auf Arbeitslosengeld I bestand, der als solcher anspruchsmindernd zu berücksichtigen war (vgl. Bundessozialgericht , Urteil vom 28.08.1997 – 14/10 RKg 11/96, Rdnr. 14 m.w.N. ) und die Hilfebedürftigkeit bei seiner Erfüllung vollständig entfallen ließ, waren die Voraussetzungen für die erfolgte Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von Beginn an nicht erfüllt.
Die Beklagte hätte bei dieser Sachlage Leistungen nach dem SGB II allenfalls vorläufig (§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III) oder als Darlehen (§ 23 Abs. 4 SGB II) erbringen dürfen (vgl. hierzu Bundessozialgericht , Beschluss vom 23.11.2006 – B 11b AS 17/06, Rdnrn. 13 f.; Landessozialgericht Baden-Württemberg , Urteil vom 17.03.2006 – L 8 AS 4314/05, Rdnr. 28 ).
Von diesen gesetzlichen Möglichkeiten hat die Beklagte indes keinen Gebrauch gemacht. Die (endgültige) Bewilligungsentscheidung als verlorener Zuschuss war demgegenüber rechtswidrig. 22
Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheids vom 13.05.2009 gemäß § 48 SGB X selbst dann nicht vor, wenn die Bewilligungsentscheidung rechtmäßig erfolgt wäre.
Denn in diesem Fall hätte die Auszahlung der bewilligten Leistungen nach dem SGB II gemäß § 107 Abs. 1 SGB X Erfüllungswirkung im Hinblick auf den gegenüber diesen vorrangigen (§§ 9 Abs. 1 und 5 Abs. 1 SGB II; vgl. hierzu Kater , in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 63. Ergl. 2009, § 104 Rdnr. 57 f. m.w.N.) Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld I.
Die Beklagte wäre auf einen die Rückabwicklung zwischen ihr und der Klägerin gemäß §§ 48, 50 SGB X ausschließenden (vgl. Bundessozialgericht , Urteil vom 22.05.2002 – B 8 KN 11/00 R, Rdnr. 16 m.w.N. ) Anspruch gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger nach dem SGB III gemäß § 104 SGB X beschränkt.
Dieser Anspruch wäre bei rechtmäßiger Bewilligung von Arbeitslosengeld II durch die Beklagte weder durch die Trägeridentität (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg , Urteil vom 16.06.2009 – L 13 AL 5180/07, Rdnrn. 32 f. ) noch dadurch ausgeschlossen, dass Arbeitslosengeld I nach den insoweit geltenden Vorschriften (§ 337 Abs. 2 SGB III) rechtzeitig an die Klägerin ausgezahlt wurde (vgl. hierzu Bundessozialgericht , Urteil vom 28.08.1997 – 14/10 RKg 11/96, Rdnr. 16 m.w.N. ). 23
b) Die Beklagte kann ihre Aufhebungsentscheidung auch nicht auf § 45 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III stützen.
Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nur unter denen in § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X genannten Voraussetzungen ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X).
Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X).
Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X). 24
Die hiernach bestehenden Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 13.05.2009 liegen nicht vor.
Die Klägerin hat die von der Beklagten bewilligten Leistungen verbraucht und kann sich daher auf Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X berufen.
Das Berufen auf Vertrauensschutz ist nicht gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X ausgeschlossen.
Insbesondere hat die Klägerin in ihrem Bewilligungsantrag vollständige Angaben gemacht und musste die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung auch nicht kennen.
Wie die Klägerin glaubhaft versichert hat, hat sie bei der Beklagten nachgefragt, ob ihr für den Monat Mai tatsächlich sowohl Arbeitslosengeld II als auch Arbeitslosengeld I zustehe.
Nachdem ihr daraufhin versichert wurde, dass alles seine Richtigkeit habe, musste die Klägerin als Rechtsunkundige nicht damit rechnen, die erhaltenen Leistungen zurückerstatten zu müssen.
Vielmehr durfte sie – auch vor dem Hintergrund des von der Beklagten berücksichtigten Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung – davon ausgehen, dass ihr die bewilligten Leistungen zustehen, und diese zum Lebensunterhalt verwenden.
Von den bereits dargelegten gesetzlichen Möglichkeiten einer für die Klägerin erkennbaren Einschränkung durch eine vorläufige oder darlehensweise Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht.
Unter diesen Voraussetzungen kann der Klägerin das Berufen auf Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs. 2 SGB X nicht verwehrt werden. 25
c) Mangels rechtmäßiger Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 13.05.2009 ist die Klägerin auch nicht gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zur Erstattung der erhaltenen Leistungen in Höhe von 336,96 Euro verpflichtet.