Viele Faktoren müssen hier vor einer Sanktion beachtet werden.
III. Zu ausgewählten Regelungen
1. Rechtsfolgenkenntnis statt Belehrung
Der schriftlichen Belehrung über die Rechtsfolgen eines Pflichtverstoßes ist deren Kenntnis gleichgestellt; der Nachweis über eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung muss in diesem Fall nicht geführt werden.
Die Regelung ist in der Anhörung zum Gesetzentwurf zu Recht - auch als unpraktikabel - kritisiert worden. Verfassungswidrig ist sie - bei verfassungskonform einschränkender Auslegung nicht.
Die Gesetzesbegründung verschweigt sich zu den genauen Anforderungen, die an diese Kenntnis zu stellen sind. Maßstab hat der Gesetzgeber gewollte Gleichrang von schriftlicher Rechtsfolgenbelehrung und Kenntnis der Rechtsfolgen zu sein,
schon nach dem Wortlaut ist eine positive Kenntnis erforderlich;
nicht ausreichend ist ein Kennen müssen, also die zurechenbare ( grob ) fahrlässige Unkenntnis der Rechtsfolgen, und der Rechtsfolgen, oder ein Kennen können ( § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Wegen des Gleichrangs reicht auch nur eine ( positive) Kenntnis aus, die hinsichtlich der potentiell handlungsleitenden Wirkungen, insb. der Warn - und Signalfunktion, der einzelfallbezogenen schriftlichen Rechtsfolgenbelehrung gleichwertig ist.
Erforderlich ist eine positive, aktuelle Kenntnis des jeweiligen Leistungsberechtigten von den konkreten Rechtsfolgen, die ein bestimmter Pflichtverstoß in einer konkreten Situation haben wird.
Der Leistungsberechtigte muss - zumindest im Rahmen einer Parallelwertung in der Laiensphäre - erfasst und verstanden haben, dass und welche Rechtsfolgen sich bei bestimmten Verhalten ergeben werden.
Erforderlich ist neben einen klaren Wissen um die differenzieren Rechtsfolgen auch die Fähigkeit, dieses Wissen in einer bestimmten Handlungs- oder Konfliktsituation abrufen und intellektuell verarbeiten zu können.
Eine abstrakt mögliche Kenntnis aus der Vergangenheit muss bei dem Leistungsberechtigten noch aktuell wirken ( können) und so in dessen Bewusstsein verankert sein, dass es in der aktuellen Situation noch handlungsleitend wirken kann.
Allgemeine Belehrungen in Formblättern und Vordrucken sowie schriftliche Rechtsfolgenbelehrungen reichen nicht aus.
Die Kenntnis kann sowohl durch frühere Hinweise/Rechtsfolgenbelehrungen als auch durch mündliche Belehrungen vermittelt worden sein.
Schriftliche Rechtsfolgenbelehrungen in der Vergangenheit sind für die Kenntnis unbeachtlich, wenn beachtliche Gründe ( z.B. Sprachschwierigkeiten, Analphabetismus) dafür sprechen, dass sie nicht zur Kenntnis genommen oder verstanden worden sind.
Fehler einer schriftlich erteilten Rechtsfolgenbelehrung können regelmäßig nicht durch eine ( positive) Kenntnis ausgeglichen werden.
Auch wenn die schriftliche Rechtsfolgenbelehrung falsch, unzureichend, in sich widersprüchlich oder fehlerhaft ist, darf sich der Leistungsberechtigte regelmäßig auf diese verlassen und muss nicht davon ausgehen, das seine Rechtskenntnis besser ist als die des Leistungsträgers.
Nur in seltenen Ausnahmefällen wird der Leistungsberechtigte aktuell über so klare, differenzierte und sichere Rechtskenntnisse verfügen, das er deswegen auch die Fehlerhaftigkeit der Rechtsfolgenbelehrung erkennt.
Die - differenzierte - Kenntnis ist vom Leistungsträger darzulegen und ggf. zu beweisen.
Die Obliegenheiten müssen in dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt klar und eindeutig bestimmt sein, d.h. die dem Leistungsberechtigten abverlangten Eingliederungseigenbemühungen sind nach Art, Umfang, Zeit und Ort zu konkretisieren, dass die Verletzungshandlung ohne Weiteres festgestellt werden kann.
Weiterhin sind nur Verstöße gegen rechtmäßige Regelungen der Eingliederungsvereinbarung/des ersetzenden Verwaltungsaktes beachtlich.
Vor der Minderung ist eine Inzident Prüfung der Wirksamkeit der Regelungen vorzunehmen.
Bei bereits bestandskräftigem Verwaltungsakt ist nicht sichergestellt, dass die auch dann mögliche und gebotene Inzident Prüfung erfolgt oder ein Widerspruch gegen eine Sanktionierung auch als Antrag nach § 44 SGB X gegen den Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II gewertet wird; bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der auferlegten Pflichten sollte stets auch ein Antrag nach § 44 Abs. 1 und 2 SGB X gestellt werden.
Und darauf muss auch geachtet werden:
Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum wirkt allerdings auf die Anwendung und Auslegung der Sanktionsregelungen ein und verengt den Sanktionsspielraum.
Der Leistungsträger darf auch bei grob pflichtwidrigem Handeln den Leistungsberechtigten nicht in eine Situation bringen, bei der das physische Existenzminimum aktuell nicht gewährleistet ist.
Er muss sich Gedanken machen, wovon der leistungsberechtigte leben kann und soll.
Dies kann z.B. bedeuten, dass dieser auf den Verbrauch ansonsten geschonten Vermögens verwiesen wird.
Der leistungsberechtigte kann - bis zur Schikane Grenze bei deren Auskehrung - auf die ergänzenden Sachleistungen oder geldwerten Leistungen verwiesen werden, welche die verfassungsrechtlich unabweisbaren Bedarfe ( einschließlich etwa des Mehrbedarfs für gesundheitsbedingt kostenaufwändigere Ernährung) decken, wenn alle Möglichkeiten der eigenständigen Bedarfsdeckung ausgeschlossen werden können;
unzulässig bleibt der Verweis auf rechtlich wie tatsächlich ungesicherte Möglichkeiten der Bedarfsdeckung durch Betteln, Nutzung von Tafeln oder Suppenküchen oder sonstigen Formen außerfamiliärer privater Mildtätigkeit.
Die unabweisbar gebotene Sicherung des physischen Existenzminimums prägt das Ermessen bei Gewährung von Sachleistungen und geldwerten Leistungen nach Art und Umfang bei anderweitig ausgeschöpften Möglichkeiten vor, dieses anderweitig zu bestreiten. Das diese Leistungen antragsabhängig sind, entlässt die Leistungsträger nicht aus der Verantwortung.
Dies gilt vor allem bei Personen, bei denen schon die Sanktionierung selbst auf die Kompetenzdefizite oder belastende Lebensumstände zurückzuführen ist und bei denen ohne besondere Beratung und Betreuung nicht mit einem entsprechenden Antrag zu rechnen ist. Die Leistungsträger haben in dieser besonderen Situation sachgerecht aufzuklären und zu beraten ( §§ 14, 15 SGB I ); auch im SGB II sind die leistungsträger verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt werden.