Der 4. Senat des Bundessozialgerichts beabsichtigt, am 18. Januar 2011 im Elisabeth-Selbert-Saal I nach mündlicher Verhandlung über fünf Revisionen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu entscheiden.
1) 10.00 Uhr - B 4 AS 99/10 R - 1. J.K., 2. B.K., 3. S.K. ./. ARGE Herne
Die Beklagte bewilligte den Klägern von März bis August 2008 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Im Juli 2008 wies die Beklagte die Kläger darauf hin, dass der Leistungsbezug am 31.8.2008 ende und - da Leistungen nur auf Antrag zu gewähren seien - ein Fortzahlungsantrag rechtzeitig vor dem Ablauf des Bewilligungszeitraums gestellt werden müsse. Den Fortzahlungsantrag haben die Kläger am 26.9.2008 gestellt. Daraufhin bewilligte die Beklagte ab diesem Tag bis zum 28.2.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Widerspruch der Kläger, mit dem sie Leistungen bereits ab dem 1.9.2008 begehren, blieb im Widerspruchsverfahren erfolglos.
SG und LSG haben die Auffassung der Beklagten bestätigt, dass es auch bei der Fortzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Anschluss an einen unmittelbar vorhergehenden Bewilligungszeitraum eines Antrags bedürfe. Die Rechtsprechung des BSG aus dem Bereich der Arbeitslosenhilfe und des Rechts der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sei nicht auf das SGB II übertragbar. Dort sei die Antragstellung materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung des Leistungsanspruchs, wohingegen der Antrag im SGB II konstitutive Wirkung habe. Damit entfalle die Wirkung eines Antrags jedoch, wenn die Verwaltung auf diesen Antrag hin tätig geworden sei und über das Begehren entschieden habe. Diese Regelung sei insbesondere den sich häufig ändernden Verhältnissen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende, bedingt durch die Berücksichtigung von wechselndem Einkommen und Veränderungen in der Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft, geschuldet. Den Klägern sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ebenso wenig stehe ihnen die begehrte Leistung auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu.
Die Kläger haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügen eine Verletzung von § 37 SGB II. Sie machen insbesondere geltend, bei den SGB II-Leistungen handele es sich systematisch gesehen um Dauerleistungen, die nicht durch den Ablauf des Bewilligungszeitraums unterbrochen würden.
SG Gelsenkirchen - S 35 AS 31/09 - LSG Nordrhein-Westfalen - L 6 AS 40/09 -
2) 10.45 Uhr - B 4 AS 29/10 R - M. ./. Kommunales Center für Arbeit
Der Beklagte bewilligte dem Kläger, der bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe bezogen hatte, zunächst von Januar bis Juni 2005 und dann anschließend ohne einen Fortzahlungsantrag von Juli bis Dezember 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Bewilligungsbescheid für den zuletzt benannten Leistungsabschnitt wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass ein Fortzahlungsantrag rechtzeitig vor dem Ablauf des Bewilligungszeitraums (4 Wochen) gestellt werden müsse. Den Fortzahlungsantrag hat der Kläger am 13.2.2006 gestellt. Daraufhin bewilligte der Beklagte ab diesem Tag bis zum 31.7.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er Leistungen bereits ab dem 1.1.2006 begehrte, blieb erfolglos.
Das SG hat der Klage auf Leistungen auch zwischen dem 1. und dem 12.2.2006 stattgeben. Das LSG hat die Entscheidung des SG auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, dass es auch bei der Fortzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Anschluss an einen unmittelbar vorhergehenden Bewilligungszeitraum eines Antrags bedürfe. Dem Kläger sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ebenso wenig stehe ihm die begehrte Leistung auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Eine für die Versäumnis des Klägers kausale Pflichtverletzung des Beklagten liege nicht vor. Den Hinweis auf das Erfordernis eines Fortzahlungsantrags im vorhergehenden Bewilligungsbescheid vom 23.5.2005 habe der Kläger nicht zur Kenntnis genommen. Er hätte - bei verbleibenden Unklarheiten - diesen Hinweis zum Anlass nehmen müssen, sich entsprechend zu erkundigen.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt eine Verletzung von § 37 SGB II. Abgesehen davon, dass es seiner Ansicht nach keines Fortzahlungsantrags im SGB II bedürfe, macht er geltend, ausgehend vom vorhergehenden Arbeitslosenhilfebezug darauf vertraut zu haben, dass ihm vor dem Auslaufen des Bewilligungszeitraums ein Fortzahlungsantrag übersandt werde.
Zudem obliege dem Beklagten auf Grund des Sozialrechtsverhältnisses die Nebenpflicht, den Leistungsempfänger rechtzeitig vor dem Ende des vorhergehenden Bewilligungszeitraums auf die erforderliche Antragstellung zur Fortzahlung hinzuweisen.
SG Frankfurt - S 33 AS 1252/06 - Hessisches LSG - L 7 AS 413/09 -
3) 11.30 Uhr - B 4 AS 90/10 R - 1. I.F., 2. M.F. ./. ARGE Oberberg
Die Beklagte bewilligte den Klägern von Januar bis Juni 2007 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Im März und April 2007 musste sich der Kläger zu 2 einem Krankenhausaufenthalt unterziehen. Am 19.3. und 25.4.2007 floss ihm aus diesem Anlass eine Versicherungsleistung aus einer Krankenhaustagegeldversicherung zu. Die Beklagte änderte daraufhin ihren Bewilligungsbescheid für die Monate März und April 2007 wegen des Zuflusses von Einkommen nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X ab und forderte von den Klägern jeweils 174,48 Euro an Grundsicherungsleistungen zurück. Hiergegen wenden sich die Kläger im Klageverfahren.
SG und LSG haben die Auffassung des Beklagten bestätigt, dass es sich bei dem zugeflossenen Krankenhaustagegeld um zu berücksichtigendes Einkommen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II handele. Die Einnahme sei auch nicht wegen Zweckbestimmung von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen ( § 11 Abs 3 Nr 3 Buchstabe a SGB II), denn durch den Versicherungsvertrag werde kein Verwendungszweck festgelegt. Für die Berücksichtigungsfähigkeit als Einkommen komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger die Versicherung aus ihrem eigenen Einkommen bzw der Regelleistung finanziert hätten.
Die Kläger haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügen eine Verletzung von § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II. Sie machen insbesondere geltend, sie hätten die Versicherungsleistung selbst finanziert, sodass sie auf Grund der Berücksichtigung des Krankenhaustagegeldes als Einkommen bei der Berechnung der SGB II-Leistung doppelt hierfür "zahlen" würden. Zudem machen sie für den durch den Krankenhausaufenthalt entstandenen Mehrbedarf des Klägers zu 2 im Gegenzug eine Härteleistung iS des § 21 Abs 6 SGB II bzw unmittelbar aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG geltend.
SG Köln - S 15 (19) AS 47/08 - LSG Nordrhein-Westfalen - L 12 AS 34/09 -
4) 12.15 Uhr - B 4 AS 14/10 R - J. ./. JobCenter Garmisch-Partenkirchen
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der Zeit ab 15.2.2007.
Die im Jahre 1944 geborene Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und lebte - mit Unterbrechungen von September 2004 bis März 2005 - seit 1994 mit ihrem Ehemann grenznah in Österreich. Dieser arbeitete bis zum Beginn seines Bezugs einer Rente wegen Erwerbsminderung aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung ab November 2004 in Deutschland. Von Juli 2000 bis Juli 2002 war die Klägerin als sog Grenzgängerin erwerbstätig. Nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bezog sie Ende 2002 und Anfang 2003 Alg I und gab im Juni 2003 gegenüber dem Arbeitsamt Garmisch-Partenkirchen eine Erklärung nach § 428 SGB III ab. Arbeitslosenhilfe erhielt sie vom 1.9.2004 bis 31.12.2004.
Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin vom Februar 2007 auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, weil sie keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe. Es verstoße gegen höherrangiges Recht, dass ein Leistungsexport ins Ausland nicht möglich sei. Die Gewährleistungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit fänden auf sie keine Anwendung. Die EWGV 1408/71 führe zu keinem anderen Ergebnis, weil es sich beim Alg II um eine beitragsunabhängige Sonderleistung iS von Art 4 Abs 2a EWGV 1408/71 handele, für die gemäß Art 10a Abs 1 Satz 1 EWGV 1408/71 das Recht des Wohnmitgliedstaats gelte.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, der Ausschluss eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs 1 Nr 4 SGB II für Personen, die in Deutschland als sog Grenzgänger erwerbstätig seien, beim deutschen Rentenversicherungsträger eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt und die Erleichterungen des § 65 Abs 4 SGB II iVm § 428 SGB III in Anspruch genommen hätten, verstoße gegen Art 39 EWGV.
SG München - S 13 AS 1378/07 - Bayerisches LSG - L 7 AS 241/08 -
5) 13.15 Uhr - B 4 AS 108/10 R - L. ./. ARGE Saarbrücken
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, Beiträge zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe zu übernehmen.
Der seit Beginn seiner Referendarzeit als selbständiger Rechtsanwalt tätige Kläger ist privat kranken- und pflegeversichert mit einem Beitrag für seine private Krankenversicherung in Höhe von 207,39 Euro. Nach einem erstmaligen Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von Juni 2006 bis Juni 2007 beantragte er im Januar 2009 erneut SGB II-Leistungen. Die Beklagte bewilligte die Leistungen in dem streitigen Zeitraum vom 26.1.2009 bis 30.6.2009 nur unter Berücksichtigung eines Zuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 129,54 Euro monatlich.
Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mit Beiträgen zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe zu zahlen. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das LSG ist davon ausgegangen, dass dem Kläger ein Anspruch auf Übernahme seiner Beiträge zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe in verfassungskonformer Auslegung des § 26 Abs 2 SGB II zustehe.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine unrichtige Anwendung des § 26 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB II. Die Regelung lasse keinen Raum für eine über ihren Wortlaut hinausgehende (verfassungskonforme) Auslegung.
SG für das Saarland - S 21 AS 483/09 - LSG für das Saarland - L 9 AS 15/09 -
BSG: ALg II - Privat Krankenversicherte Anspruch auf volle Beiträge
Privat krankenversicherte Bezieher von Arbeitslosengeld II haben Anspruch auf Beiträge in voller Höhe
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18. Januar 2011 im Verfahren B 4 AS 108/10 R entschieden, dass der als selbständiger Rechtsanwalt tätige und privat krankenversicherte Kläger im streitigen Zeitraum des Jahres 2009 von dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übernahme seiner Beiträge zur privaten Krankenversicherung in voller Höhe verlangen kann.
Der Kläger konnte nicht mehr ? wie nach der Rechtslage bis zum 31. Dezember 2008 ? als Bezieher von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II automatisch Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung werden, sondern musste seine private Krankenversicherung mit einer Beitragsbelastung in Höhe von 207,39 Euro aufrecht erhalten.
Eine ausdrückliche Regelung dazu, wie der offene Beitragsanteil auszugleichen ist, findet sich im SGB II nicht.
Insofern besteht eine gesetzesimmanente Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Vorschriften.
Den Gesetzesmaterialen zu dem GKV-Wettbewerbs-Stärkungsgesetz lassen sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber den privat krankenversicherten Beziehern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewusst und gewollt einen von ihnen finanziell nicht zu tragenden Beitragsanteil belassen wollte.
Die schriftlich niedergelegten Motive enthalten Hinweise auf einen "bezahlbaren Basistarif" und dies berücksichtigende Regelungen, die sicherstellten, dass "die Betroffenen finanziell nicht überfordert würden".
Auch der weitere Regelungszusammenhang spricht für eine gesetzesimmanente Lücke, weil Beiträge für freiwillig krankenversicherte Leistungsempfänger in vollem Umfang und Beiträge zur privaten Krankenversicherung in Fallgestaltungen ganz übernommen werden, in denen dadurch der Eintritt einer Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden werden kann.
Schließlich wäre das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum privat versicherter SGB II-Leistungsempfänger betroffen, wenn die von ihnen geschuldeten Beiträge zur privaten Krankenversicherung nicht vom Träger der Grundsicherung übernommen würden. Die planwidrige Regelungslücke bei der Tragung von Beiträgen zur privaten Krankenversicherung ist ? hinsichtlich der offenen Beitragsanteile ? daher durch eine analoge Anwendung der Regelung für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Personen zu schließen.
Hieraus ergibt sich eine Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Beiträge in voller Höhe.
Az.: B 4 AS 108/10 R L. ./. Jobcenter im Regionalverband Saarbrücken
Rechtsgrundlagen
§ 26 Zuschuss zu Versicherungsbeiträgen … (2) Für Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig und nicht familienversichert sind und die für den Fall der Krankheit
1.bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, gilt § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 des Versicherungsaufsichtsgesetzes, 2.freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, wird für die Dauer des Leistungsbezugs der Beitrag übernommen; für Personen, die allein durch den Beitrag zur freiwilligen Versicherung hilfebedürftig würden, wird der Beitrag im notwendigen Umfang übernommen. Der Beitrag wird ferner für Personen im notwendigen Umfang übernommen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind und die allein durch den Krankenversicherungsbeitrag hilfebedürftig würden.
§ 12 VAG … 1c) Der Beitrag für den Basistarif ohne Selbstbehalt und in allen Selbstbehaltsstufen darf den Höchstbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übersteigen; ….Entsteht allein durch die Zahlung des Beitrags nach Satz 1 oder Satz 3 Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, vermindert sich der Beitrag für die Dauer der Hilfebedürftigkeit um die Hälfte; die Hilfebedürftigkeit ist vom zuständigen Träger nach dem Zweiten oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch auf Antrag des Versicherten zu prüfen und zu bescheinigen.
Besteht auch bei einem nach Satz 4 verminderten Beitrag Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, beteiligt sich der zuständige Träger nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird. Besteht unabhängig von der Höhe des zu zahlenden Beitrags Hilfebedürftigkeit nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, gilt Satz 4 entsprechend; der zuständige Träger zahlt den Betrag, der auch für einen Bezieher von Arbeitslosengeld II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist.
BSG, 4. Senat: ALG II, Terminvorschau für den 18.01.2011
BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 18.1.2011, B 4 AS 99/10 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Notwendigkeit Fortzahlungsantrag für neuen Bewilligungszeitraum - keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch - Jobcenter als Rechtsnachfolger der Arbeitsgemeinschaft - Beteiligtenfähigkeit bzw -wechsel - keine Klageänderung - Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die gemeinsame Einrichtung Leitsätze
Die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Beendigung des Bewilligungszeitraums erfordert einen Fortzahlungsantrag. Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 2010 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Tatbestand
1
Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 1. bis 25.9.2008.
2
Die Kläger bezogen im Zeitraum vom 1.3. bis 31.8.2008 existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II. In einem Schreiben vom 4.7.2008 wies der Beklagte die Kläger darauf hin, dass der Leistungsbezug am 31.8.2008 ende und - da Leistungen nur auf Antrag gewährt werden könnten - ein Fortzahlungsantrag rechtzeitig vor dem Ablauf des Bewilligungsabschnitts gestellt werden müsse. Ein Antragsformular fügte er bei.
3
Der Fortzahlungsantrag der Kläger ging am 26.9.2008 bei dem Beklagten ein. Darauf bewilligte er den Klägern ab diesem Tag SGB II-Leistungen bis zum 28.2.2009. Der Widerspruch der Kläger, mit dem sie Leistungen bereits ab dem 1.9.2008 begehren, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 18.2.2009).
4
SG Gelsenkirchen und LSG Nordrhein-Westfalen haben die Entscheidung des Beklagten bestätigt (Urteile des SG vom 11.12.2009 und des LSG vom 11.5.2010). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, dass die Kläger keinen Anspruch auf Leistungen im Zeitraum vor der Antragstellung hätten, denn Alg II bzw Sozialgeld werde nach dem Wortlaut des § 37 SGB II nur auf Antrag gewährt. Insoweit komme es nicht darauf an, ob es sich um einen Erst- oder einen Fortzahlungsantrag handele. § 37 SGB II differenziere nach der Gesetzesbegründung insoweit nicht. Verfahrensrechtlich bleibe ein einmal gestellter Antrag nur so lange bestehen, bis er beschieden worden sei, sodass für den nächsten Bewilligungsabschnitt auch ein neuer Antrag erforderlich werde. Diese Rechtsanwendung werde durch die Rechtsprechung des BSG bestätigt, wonach Folgezeiträume nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Rechtsstreits über einen vorhergehenden Bewilligungsabschnitt sein könnten. Die Rechtsprechung des BSG zum SGB III (Alhi) hinsichtlich der Fortwirkung der Antragstellung über den Bewilligungsabschnitt hinaus könne nicht auf das SGB II übertragen werden. Der Antrag habe im SGB III materiell-rechtliche Wirkung gehabt, was im SGB II nicht der Fall sei. Habe der Antrag im SGB II jedoch nur verfahrensrechtliche Funktion, verliere er seine Wirkung mit der Beendigung des Verwaltungsverfahrens. Ebenso sei die Entbehrlichkeit eines Folgeantrags, wie der 8. Senat des BSG sie für das Recht der Grundsicherung im Alter und wegen Erwerbsminderung angenommen habe, nicht auf das SGB II übertragbar. Dort sei von einem geringen Anpassungs- oder Änderungsbedarf nach Ablauf des Bewilligungszeitraums auszugehen. Insoweit unterscheide sich die Situation im SGB II - allein schon aufgrund der Einbeziehung der gesamten Bedarfsgemeinschaft - grundlegend. Sie führe zu einem schnellen und häufigen Wechsel des Bedarfs. Eine Antragstellung der Kläger vor dem 1.9.2008 sei nicht nachgewiesen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, da hier keine gesetzliche Frist versäumt worden sei. Auch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kämen die Kläger nicht zu dem Leistungsanspruch im streitigen Zeitraum, denn eine Nebenpflichtverletzung des Beklagten sei weder geltend gemacht, noch liege sie vor.
5
Die Kläger haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügen eine Verletzung von § 37 SGB II. Nach dem Wortlaut des § 37 SGB II sei eine erneute Antragstellung nicht erforderlich. Systematisch sei das SGB II auf Dauerleistungen angelegt, die nicht durch den Ablauf eines Bewilligungsabschnitts unterbrochen würden. Sinn und Zweck der Leistungsbewilligung in Abschnitten sei die daraus erwachsende Möglichkeit, den Einfluss des Leistungsträgers auf die Vermittlung des Hilfebedürftigen zu stärken. Dazu bedürfe es der regelhaften Unterbrechung in Bewilligungszeiträume jedoch nicht. Den praktischen Schwierigkeiten könne mit den Vorschriften zur mangelnden Mitwirkung nach §§ 60 ff SGB I Rechnung getragen werden.
6
Die Kläger beantragen,
die Urteile des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 11. Dezember 2009 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 2010 aufzuheben sowie den Bescheid vom 29. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2009 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe auch für den Zeitraum vom 1. September bis 25. September 2008 zu gewähren.
7
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8
Er hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
9
Die zulässige Revision ist unbegründet.
10
Die Entscheidung des LSG ist nicht zu beanstanden. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 1. bis 25.9.2008. Es mangelt insoweit an einem Leistungsantrag nach § 37 Abs 1 SGB II für den streitigen Zeitraum. Es war vorliegend auch nicht auf das Antragserfordernis zu verzichten, weil eine Fortzahlung von Leistungen im direkten Anschluss an einen vorhergehenden Bewilligungszeitraum begehrt wird (3.). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG ist der Zugang eines Antrags bei dem Beklagten für den Leistungsabschnitt ab dem 1.9.2008 nicht vor dem 26.9.2008 nachgewiesen (4.). Den Klägern ist insoweit auch weder eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X einzuräumen (5.), noch steht ihnen ein Anspruch auf Leistungen aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu (6.).
11
1. Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Es steht insoweit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gleich. Bei dem Jobcenter (§ 6d SGB II idF des Gesetzes vom 3.8.2010, BGBl I 1112) handelt es sich um eine gemeinsame Einrichtung (§ 44b Abs 1 Satz 1 SGB II idF des Gesetzes vom 3.8.2010, BGBl I 1112), die mit Wirkung vom 1.1.2011 kraft Gesetzes als (teil-)rechtsfähige öffentlich-rechtliche Gesellschaft sui generis entstanden ist (Luik, jurisPR-SozR 24/2010 Anm 1). Die gemeinsame Einrichtung ist im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenzuweisung Trägerin von Rechten und Pflichten und nimmt die Aufgaben der Träger wahr, indem sie insbesondere Verwaltungsakte und Widerspruchsbescheide erlässt (§ 44b Abs 1 Satz 1 und 2 SGB II). Gemäß § 76 Abs 3 Satz 1 SGB II tritt die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisherigen beklagten Arbeitsgemeinschaft (ARGE). Nach dieser Vorschrift tritt bei einem Wechsel der Trägerschaft oder der Organisationsform der zuständige Träger oder die zuständige Organisationsform an die Stelle des bisherigen Trägers oder der bisherigen Organisationsform; dies gilt insbesondere für laufende Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Dieser kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung iS von §§ 99, 168 Satz 1 SGG dar (vgl BSG Urteil vom 9.12.1987 - 10 RKg 5/85 = BSGE 62, 269, 270 f = SozR 1200 § 48 Nr 14; BSG Urteil vom 18.7.2007 - B 12 P 4/06 R = BSGE 99, 15, 16 = SozR 4-3300 § 55 Nr 1; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Aufl 2008, § 168 RdNr 2c). Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen.
12
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschrift des § 44b SGB II idF des Gesetzes vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) bestehen nicht. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat die "Leistungserbringung aus einer Hand" mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art 91e GG) vom 21.7.2010 (BGBl I 944) in zulässiger Weise verfassungsrechtlich verankert (Henneke in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl 2011, Art 91e, RdNr 43; Volkmann in: v Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 3, 6. Aufl 2010, Art 91e GG, RdNr 3 f; unklar Hermes in Dreier, Grundgesetzkommentar, 5. Aufl 2010, Art 91e RdNr 26 ff). Der Gesetzgeber hat sich bei der einfach-gesetzlichen Ausgestaltung innerhalb des von Art 91e Abs 1 und 3 GG eröffneten Gestaltungsspielraums bewegt (vgl Henneke, aaO, RdNr 46 ff; Volkmann, aaO, RdNr 6 f).
13
2. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 29.9.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.2.2009, mit dem der Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 26.9.2008 bis 28.2.2009 bewilligt hat. Die Kläger haben diesen Bescheid hinsichtlich des Leistungsbeginns angefochten und machen einen Anspruch auf Alg II und Sozialgeld auch für den Zeitraum vom 1.9.2008 an, dem ersten Tag nach dem Ende der Bewilligung durch den Bescheid vom 10.4.2008, bis zum 25.9.2008 zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend.
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3. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, den Klägern im streitigen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Es fehlt insoweit bereits an einem Antrag.
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Nach § 37 Abs 1 SGB II werden Leistungen auf Antrag und zudem nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht (§ 37 Abs 2 Satz 1 SGB II). Die gesetzlich geregelte einzige Ausnahme hiervon besteht, wenn die Anspruchsvoraussetzungen an einem Tag eintreten, an dem der zuständige Träger von Leistungen nach dem SGB II nicht geöffnet hat. Dann wirkt ein unverzüglich gestellter Antrag auf diesen Tag zurück (§ 37 Abs 2 Satz 2 SGB II). Das Antragserfordernis gilt auch nicht nur für das erstmalige Begehren der Leistungsgewährung, sondern ebenso im Fortzahlungsfalle (s auch: LSG Baden-Württemberg Urteil vom 26.3.2010 - L 12 AS 1857/09, Revision anhängig beim BSG unter B 14 AS 55/10 R; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 13.3.2009 - L 14 B 2368/08 AS PKH, ZFSH/SGB 2009, 221; SG Reutlingen Urteil vom 17.3.2008 - S 12 AS 2203/06; so wohl auch LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 18.9.2008 - L 9 B 39/08 AS, RdNr 17; aA SG Reutlingen Urteil vom 13.12.2007 - S 3 AS 3000/07). Dieses folgt aus Wortlaut, Gesetzesbegründung, systematischem Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Regelung.
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Aus dem Wortlaut des § 37 SGB II lässt sich eine unterschiedliche Behandlung von Erst- und Fortzahlungsanträgen nicht entnehmen. Die Regelung stellt allgemein auf das Erfordernis der Antragstellung als Voraussetzung für den Leistungsbeginn ab. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird betont, dass der Antrag auf Leistungen konstitutive Wirkung habe, sodass Leistungen erst ab Antragstellung zustünden (BT-Drucks 15/1516, S 62). Ein Hinweis darauf, dass insoweit zwischen dem erstmaligen Leistungsbegehren und einem Anspruch auf die Fortzahlung zu differenzieren sei, findet sich nicht.
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Das Antragserfordernis im Fortzahlungsfall wird vielmehr durch Überlegungen zur Systematik des Verhältnisses von Alg II-/Sozialgeldanspruch und Antrag bestätigt. Die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II erfolgt für in der Regel 6 Monate (§ 41 Abs 1 Satz 4 SGB II) und kann auf einen Zeitraum bis zu einem Jahr ausgedehnt werden. Die Befristung erfolgt zum einen, um die Grundsicherungsleistungen wegen des Ziels der Eingliederung in den Arbeitsmarkt von vornherein nur auf den hierfür unerlässlichen Zeitraum zu begrenzen (vgl BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R, BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15). Es handelt sich insoweit - wie auch bei der Alhi (vgl hierzu BSG Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 9/06 R, SozR 4-4300 § 428 Nr 3) - nicht um eine rentenähnliche Dauerleistung. Zum anderen können durch die Befristung Änderungen der Verhältnisse - insbesondere bedingt durch wechselnde Einkommensverhältnisse und Veränderungen in der Bedarfsgemeinschaft - verfahrensrechtlich und verwaltungstechnisch leichter bearbeitet und erfasst werden (vgl BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R, BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15; vgl hierzu auch Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 41 RdNr 2). In diesen Zweck der Befristung der Leistungen fügt es sich systematisch zwingend ein, die Leistungsgewährung von der Antragstellung abhängig zu machen (BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R, BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15). Insoweit gibt es jedoch keinen Unterschied zwischen der Situation der Erstantragstellung und der beanspruchten Folgebewilligung. Ebenso wie eine Leistungspflicht des SGB II-Leistungsträgers nicht vor einem Kontakt - es reicht ein formloser Antrag - zwischen dem Leistungsberechtigten und ihm entsteht, entfällt sie ohne Antrag vollständig, wenn keine Fortzahlung von Alg II oder Sozialgeld begehrt wird. Eine nachrangige weitere Leistungsverpflichtung des Grundsicherungsträgers entsteht - anders als nach dem BSHG/SGB XII -, selbst wenn weiter Hilfebedürftigkeit gegeben ist, nicht. Zwar kann Hilfebedürftigkeit als Leistungsvoraussetzung über den Bewilligungszeitraum hinaus und unabhängig von der Antragstellung vorliegen (BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R, BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15). Anders als im Sozialhilferecht ist der Zeitpunkt des Leistungsbeginns im SGB II jedoch nicht von der Kenntnis der Hilfebedürftigkeit abhängig, sondern bedarf des konstitutiven Akts des Antrags. Mit diesem konstitutiven Akt wird das Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt - ab diesem Zeitpunkt hat der Leistungsträger die Verpflichtung, das Bestehen des Leistungsanspruchs zu prüfen und zu bescheiden (BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R, BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15; s auch BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 62/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 38). Der Antrag hat insoweit Türöffnerfunktion. Die konstitutive Wirkung des Antrags im SGB II und die nur formal befristete Leistungsgewährung sind auch die entscheidenden Gesichtspunkte, warum die Rechtsprechung des 8. Senat das BSG für das Recht der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, bei dem die Leistung ebenfalls von einem Antrag abhängig ist (§ 41 SGB XII), nicht in die Grundsicherung für Arbeitsuchende übertragen werden kann.
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Der 8. Senat des BSG hat einen Fortzahlungsantrag im Recht der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ua deswegen nicht für erforderlich befunden (BSG Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 13/08 R, BSGE 104, 207 = SozR 4-3530 § 6 Nr 1), weil nur der Erstantrag materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung für die Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung sei. Mit der ersten Antragstellung sei diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt und danach gehe der Gesetzgeber von weitgehend gleichbleibenden Verhältnissen aus, sodass sich insoweit ein Fortzahlungsantrag erübrige. Der einjährige Bewilligungszeitraum des § 6 Satz 1 GSiG sei davon getragen, dass die Rentenanpassungen jährlich erfolgten und eine Mitwirkungspflicht des Hilfeempfängers nur bei der Meldung von Veränderungen seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse bestehe (BT-Drucks 14/4595, S 30, 71). Zudem seien dem Leistungsträger die gesundheitlichen und Einkommensverhältnisse auch bekannt. Anders als im SGB II hat er im Zweifel ohnehin von Amts wegen (Kenntnis von Hilfebedürftigkeit) zu prüfen, ob ein Anspruch auf die nachrangige Sozialhilfeleistung besteht. Die rechtliche Ausgangslage, wie oben dargelegt, ist damit im SGB II eine grundlegend andere. Insoweit verfängt auch nicht die Argumentation, ein einmal gestellter Antrag auf Alg II/Sozialgeld entfalte für den nächsten Bewilligungszeitraum weitere Wirkung, weil er als zeitlich unbefristeter Antrag durch die nur befristete Leistungsgewährung noch nicht verbraucht sei.
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Hat ein Antrag verfahrensrechtliche, hier konstitutive Bedeutung, so hängt von der Antragstellung zwar der Zeitpunkt des Leistungsbeginns ab. Der Antrag erschöpft sich jedoch zugleich auch mit seiner Bescheidung. Die Verwaltung ist mit der Bescheidung - im Sinne der Funktion des Antrags - tätig geworden und hat ab dem Zeitpunkt der Antragstellung das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen geprüft, Leistungen bewilligt oder abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 28.10.2010 - B 14 AS 56/08 R, SozR 4-4200 § 37 Nr 1). Der Antrag ist bereits aus diesem Grunde auch nicht insoweit unverbraucht geblieben. Zwar ist der Antrag so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt (Grundsatz der Meistbegünstigung, vgl BSG Urteil vom 23.3.2010 - B 14 AS 6/09 R, SozR 4-4200 § 37 Nr 2; BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R, SozR 4-4200 § 7 Nr 13 mwN; vgl zum Klageantrag BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 11). Als beantragt sind dementsprechend alle Leistungen anzusehen, die nach Lage des Falles ernsthaft in Betracht kommen (vgl Link in Eicher/Spellbrink aaO; Striebinger in Gagel, SGB II, Stand Dezember 2009, § 37 RdNr 34). Unter Berücksichtigung des § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II umfasst dieses im Regelfall jedoch nur Leistungen bis zu einem Zeitraum von sechs Monaten. Selbst nach § 41 Abs 1 Satz 5 SGB II, der den Bewilligungszeitraum auf bis zu zwölf Monate bei Berechtigten verlängert, bei denen eine Veränderung der Verhältnisse nicht zu erwarten ist, ist jedoch eine Begrenzung vorgesehen. Der Gesetzgeber geht mithin davon aus, dass außer in Ausnahmefällen der Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung sowohl dem Grunde, als auch der Höhe nach einem so vielfältigen Wandel unterliegt, dass es geboten ist, die Leistungen immer nur für einen begrenzten Zeitraum zu gewähren und alsdann - auf Veranlassung des Hilfebedürftigen - einer erneuten Prüfung zu unterziehen.
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Hieraus folgt auch, dass die Rechtsprechung des BSG zum Anspruch auf Fortzahlung der Alhi ohne Fortzahlungsantrag nicht ins SGB II übernommen werden kann. Zum Recht der Alhi hat das BSG mehrfach entschieden, dass Arbeitslosmeldung und Antrag auf Alhi nach Ablauf eines Bewilligungszeitraums nicht seine Wirkung verlören (vgl Urteil vom 29.1.2001 - B 7 AL 16/00 R, BSGE 87, 262 = SozR 3-4300 § 196 Nr 1; BSG Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 6/90, BSGE 68, 42 = SozR 3-4100 § 139a Nr 1; BSG Urteil vom 12.12.1985 - 7 RAr 75/84, SozR 4100 § 134 Nr 29; zustimmend der 11. Senat des BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 99/99 R, SozR 3-4100 § 152 Nr 10), weil es sich bei Alg und Alhi im Falle ununterbrochener Arbeitslosigkeit mit Fortbestand der übrigen Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich um einen einheitlichen und fortwährenden Anspruch handele (BSG Urteil vom 12.12.1985 - 7 RAr 75/84, SozR 4100 § 134 Nr 29). Die Bewilligung erfolge zwar nur für einen begrenzten Zeitraum (damals noch § 139a Abs 1 AFG, später § 190 Abs 3 Satz 1 SGB III) und danach sei das weitere Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen einer erneuten Überprüfung zu unterziehen (zu § 139a Abs 2 AFG: BSG Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 6/90, BSGE 68, 42 = SozR 3-4100 § 139a Nr 1; später § 190 Abs 3 Satz 2 SGB III). Eines neuen Antrags bedurfte es dazu jedoch - anders als im SGB II - nicht, denn die materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung der Antragstellung/Arbeitslosmeldung war bereits erfüllt und der einheitliche Anspruch auf Alg/Alhi - sofern die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen weiterhin gegeben waren - wurden durch den Ablauf des Bewilligungsabschnitts nicht berührt.
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Schließlich belegen auch Sinn und Zweck des § 37 Abs 1 SGB II das Antragserfordernis für eine Fortzahlung von Leistungen im Anschluss an einen vorhergehenden Bewilligungszeitraum. Durch eine Antragstellung bringt der Leistungsberechtigte zum Ausdruck, dass sich aus seiner Sicht die tatsächliche und rechtliche Lage nicht grundlegend geändert habe und er weiterhin Leistungen zur Existenzsicherung benötige. Er fordert damit die Verwaltung im Sinne der konstitutiven Wirkung dieses Begehrens auf zu überprüfen, ob und ggf in welchem Umfang für den nächsten Bewilligungsabschnitt Leistungen zu gewähren sind. Soweit die Kläger geltend machen, dass dem Leistungsträger bei Fortwirkung des Erstantrags im Falle der Überzahlung die Instrumentarien insbesondere der Aufhebung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X zur Verfügung stünden, vermag der Senat hierin kein Argument gegen das Erfordernis eines Fortzahlungsantrags zu erkennen. Vielmehr soll die Anwendung dieser Vorschrift mit Rücksicht auf die sich im Grundsicherungsbereich häufig ändernden Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse begrenzt werden. Nur aufgrund der Begrenzung der Bewilligungszeiträume mit dem Erfordernis eines Fortzahlungsantrags können Änderungsverfügungen selbst und deren Frequenz für den Leistungsträger und den Leistungsempfänger überschaubar bleiben (vgl hierzu BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 29/07 R, BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15).
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4. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist der Fortzahlungsantrag im vorliegenden Fall am 26.9.2008 bei dem Beklagten eingegangen; die Kläger haben die Feststellungen des LSG nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen. Es ist daher nach § 37 Abs 2 Satz 1 SGB II von diesem Datum als Leistungsbeginn auszugehen.
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5. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 SGB X ist den Klägern nicht zu gewähren. Nach § 27 Abs 1 SGB X ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Überwiegend wird in der Rechtsprechung der Instanzgerichte die Auffassung vertreten, dass es sich bei § 37 SGB II nicht um eine gesetzliche Frist handele (s nur LSG Baden-Württemberg Urteil vom 26.11.2008 - L 2 AS 6052/07; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 17.4.2008 - L 9 AS 69/07; Hessisches LSG Urteil vom 18.12.2009 - L 7 AS 413/09, anhängig beim BSG unter B 4 AS 29/10 R). Dem folgt der Senat, denn § 37 SGB II setzt keine Frist fest, sondern regelt lediglich das Verhältnis zwischen Leistungsbeginn und Antragstellung. Die Antragstellung selbst ist nicht an eine Frist gebunden und der Ausschluss der Leistungsgewährung vor dem Tag der Antragstellung stellt keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist dar (vgl hierzu auch Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 40 RdNr 106b).
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6. Die Kläger können die Leistungen für den streitigen Zeitraum auch nicht über einen sozial-rechtlichen Herstellungsanspruch erhalten. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur Voraussetzung (vgl ua BSG Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 63/06 R, SozR 4-1200 § 14 Nr 10), dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund des Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I), verletzt hat. Ferner ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können. Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (vgl zum Lohnsteuerklassenwechsel BSG Urteil vom 1.4.2004 - B 7 AL 52/03 R, BSGE 92, 267, 279 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Im vorliegenden Fall mangelt es bereits an einer Pflichtverletzung des Beklagten. Zwar kann es eine sich aus dem speziellen Sozialrechtsverhältnis des SGB II ergebende Pflicht des Grundsicherungsträgers sein, den Hilfebedürftigen vor dem Ablauf des letzten Bewilligungszeitraums über das Erfordernis eines Fortzahlungsantrags zu beraten (s hierzu Entscheidung des Senats vom selben Tag B 4 AS 29/10 R). Gleichwohl besteht hier kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Der Beklagte ist seiner Verpflichtung zur Unterrichtung der Kläger - wie er in den Fachlichen Hinweisen der BA unter Ziffer 37.11a dargelegt worden ist - nachgekommen. Die Kläger haben von dem Beklagten - nach den Feststellungen des LSG - mit Schreiben vom 4.7.2008 einen Hinweis auf das Ende des Bewilligungszeitraumes erhalten, ihnen wurde ein Fortzahlungsantragsformular übersandt und sie wurden auf das Erfordernis der Antragstellung für die Weiterbewilligung (vor Ablauf des Bewilligungszeitraumes) hingewiesen. Die Kläger haben die Feststellungen des LSG insoweit nicht angegriffen. Der Beklagte hat damit alles objektiv Erforderliche zur Beratung der Kläger getan.