Sanktions-Stopp bei Schwangeren gefordert – Bundesregierung und BA wiegeln ab
und danach unser sarkastischer Kommentar: Schon Ungeborene werden zu verantwortungsbewusstem Hungern erzogen
Das Erwerbslosen Forum Deutschland ist in den letzten Wochen wiederholt mit Fällen an die Öffentlichkeit gegangen, in denen Schwangere auf Null sanktioniert wurden – willkürlich und ohne Rücksicht auf ihre Schutzbedürftigkeit und die Ungeborenen. In jenen Fällen, in denen den sanktionierten Frauen rechtliche Hilfe besorgt wurde, mussten die Jobcenter die Sanktio-nen zurücknehmen. (Die Meldungen des Erwerbslosen Forums sind zu finden unter http://www.elo-forum.net/topstory/2011012810280.html http://www.elo-forum.net/topstory/2011021711717.html
Wie verbreitet Probleme von werdenden Müttern mit ihren Jobcentern sind, zeigt eine Umfra-ge der Bundesstiftung „Mutter und Kind“ in NRW bei 216 Schwangerenberatungsstellen: „Bei 5.600 von insgesamt 14.300 beratenen Schwangeren im ersten Quartal 2010 habe es ‚Klärungsbedarf mit den Jobcentern’ gegeben“, heißt es dazu in einer Meldung des Evangeli-schen Pressedienstes. Und weiter: „Hier telefonisch oder schriftlich einzuschreiten, verursache den Beratungsstellen einen erheblichen Arbeitsaufwand (…). Meist führe die Intervention dann allerdings zum Erfolg.“ (siehe: http://www.sanktionsmoratorium.de/html/t...t_2.php?zid=255
In einem offenen Brief an Arbeitsministerin von der Leyen und BA-Vorstandsmitglied Alt schildert das Erwerbslosen Forum beispielhaft drei der Sanktionsfälle, verweist auf die er-wähnte Umfrage der Stiftung „Mutter und Kind“ und fordert, „den sofortigen Stopp der Sanktionen bei werdenden Müttern per Dienstanweisung zu veranlassen“, weil „Sanktionen auf Null in der Schwangerschaft sich kaum (…) mit dem Schutz des ungeborenen Lebens vereinbaren lassen“. Mit Verweis auf die Rechtswidrigkeit vieler Sanktionen wird außerdem angeregt, „die gesamte Sanktionsproblematik (§ 31 SGB II) mit einem Moratorium zu belegen“. (Der vollständige Brief ist hier zu finden: http://www.elo-forum.net/wp-content/uplo...ngerschaft2.pdf
der auch im Namen von Ursula von der Leyen antwortet, zeugt von einer vollständigen Ignoranz der Realität in den Jobcentern. Behauptet wird, dass Schwangere umfassende Unterstützungsleistungen be-kämen. Auch werden die Schutzvorschriften im SGB II angeführt, so die Beschränkung der Zumutbarkeit auf Arbeit und Maßnahmen, zu denen die werdende Mutter körperlich, geistig und seelisch in der Lage sei, und dass nur die unbegründete Ablehnung eines erforderlichen und zumutbaren Angebotes sanktioniert werden kann. Und weiter: „Zu berücksichtigen sind auch bei diesem Personenkreis alle Umstände des Einzelfalls. Zu prüfen ist bei den betroffe-nen jungen Frauen daher insbesondere, ob die bestehende Schwangerschaft ein wichtiger Grund für die Ablehnung einer konkreten Maßnahme oder Tätigkeit ist.“ Dass gerade dies vielfach nicht geschieht, wird einfach ausgeblendet.
Schlimmer noch: Mit dem Verweis auf die bestehenden Schutzvorschriften wird gerechtfer-tigt, dass es vertretbar sei, die Sanktionen gegen werdende Mütter als „ultima ratio“ einzuset-zen. Dass diese „ultima ratio“-Sanktionen trotzdem auch die Ungeborenen treffen, darauf wird – an dieser Stelle – mit keinem Wort eingegangen. Allerdings findet sich zum Kindes-wohl folgende Aussage: „Schwangere dürfen vom Arbeitsmarktgeschehen und auch vom In-tegrationsprozess nicht ausgegrenzt werden. Diesem Aspekt kommt – auch und gerade im Hinblick auf das Kindeswohl – erhebliche Bedeutung bei der Umsetzung unseres gesetzlichen Auftrags zu.“ Dies vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber Sanktionen noch immer für ein geeignetes Mittel hält, die Arbeitsmarktintegration zu befördern, und dass Alt auf den gesetz-lichen Auftrag zur Sanktionierung verweist („Ihre Forderung, werdende Mütter vollständig von Sanktionen auszunehmen, ist allerdings nicht mit dem geltenden Recht vereinbar.“), be-deutet wohl: Die Sanktionen gegen Schwangere werden als für das Kindeswohl förderlich und notwendig angesehen.
Soweit der bittere Ernst. Dazu unser sarkastischer Kommentar: Schon Ungeborene werden zu verantwortungsbewusstem Hungern erzogen
Sanktionen für das Kindeswohl förderlich? Na klar! Für die Chance, von einer arbeits-marktintegrierten Mutter geboren zu werden, wird das Ungeborene doch gern das Risiko der eigenen Fehlgeburt in Kauf nehmen, oder? Schließlich lebt das Ungeborene in einer Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft und hat die Anforderungen des (Un-)Sozialgesetzbuches II bereits vor der Muttermilch aufgesogen: Alle Möglichkeiten zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit soll es eigenverantwortlich ausschöpfen, sonst wird ihm mit Sanktionen dabei geholfen.
Das Hungern schon im Mutterleib zu lernen, kann ohnehin nur hilfreich sein: Schließlich muss das Kind sich später zwischen Essen und Spielzeug entscheiden, denn für beides reicht der Regelsatz nicht. Oder es muss sein karges Mahl, wie bisher schon sein Zimmer, mit dem gerade erwachsenen Bruder teilen, wenn dieser nach der ersten Verfehlung vom Jobcenter kein Geld mehr bekommt und noch nicht kriminell werden will.
Wir sehen: Nicht die oben beklagte Realitätsferne tritt hier zu Tage. Was sich vielmehr offenbart, sind pädagogische Weisheit und tiefe Mitmenschlichkeit, die bei Herrn Alt, auch im Namen von Frau von der Leyen, erblühen.
Mit so tiefen Einsichten konnte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein paar Tage zuvor noch nicht aufwarten, als es – bei einer Fragestunde des Deutschen Bundestages am 26. Januar 2011 – verlautbarte: „Bei dem hier angesprochenen Fall einer schwangeren Leis-tungsberechtigten mit vollständigem Wegfall der Leistung dürfte bei der Entscheidung über die Sanktionsdauer Berücksichtigung gefunden haben, dass die Leistungsbezieherin bereits sanktioniert wurde und ihr die Tragweite ihres Handelns bewusst gewesen sein muss.“* Diese Formulierung klingt noch, als wäre es die sanktionierte Schwangere, die Schuld sei an einer SCHÄDIGUNG ihres Kindes. Oder hat das Ministerium das nunmehr Offensichtliche – dass dem Ungeborenen mit dieser Sanktionierung eine WOHLTAT zuteil wurde – in falscher Bescheidenheit verschämt verschwiegen?
Von derlei Skrupeln unbeschwert, hat uns Herr Alt freimütig Einblick in die Ab-Gründe seines Handelns gewährt: So gilt es denn, ein deutsches Dichterwort zu wandeln und uns vor unserem neuen Bundesgenossen zu verneigen: Heinrich, wir danken Dir!