Können Hartz IV - Empfänger Pass/Ausweisgebühren als Sonderbedarf geltend machen,weil im Regelbedarf ein Ansparbetrag für Ausweisdokumente von 0,25 €/Monat vorgesehen ist?
RiSG Berlin Udo Geiger in Leitfaden zum Arbeitslosengelg II, 9. Aufl., S. 225 f. zu Pass/Ausweisgebühren und mehr:
Pass/Ausweisgebühren Weil die Gebühren für technisch aufwändige Dokumente erheblich sind, haben sich die Gerichte schon mehrfach mit der Frage befassen müssen, ob die Gebühren als Sonderbedarf zu übernehmen sind. Die Frage stellt sich seit Neufassung der Regelbedarfe in verschärfter Form, weil im Regelbedarf ein Ansparbetrag für Ausweisdokumente von 0,25 €/Monat vorgesehen ist und die Auffassung vertreten wird, dass die Ausweisbehörde nicht ermessensfehlerhaft handele, wenn sie das ihr nach § 1 Abs. 6 PAuswGebV zustehende Ermessen, die Gebühr zu ermäßigen oder ganz von ihrer Erhebung abzusehen, in der Weise ausübt, dass sie auf Ansparungen aus dem Regelsatz oder Ansprüche gegen das Jobcenter verweist (s. etwa VG Freiburg vom 11.1.2011 - 4 K 2623/10).
Hilfe vom Jobcenter gibt es aber nur als Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II, weil der Bedarf strukturell vom Regelbedarf umfasst ist und auch nur gelegentlich anfällt (dazu LSG Baden-Württemberg vom 21.10.2011 - L 12 AS 2597/11).
Letztlich schlägt sich hier die Schwäche des Statistikmodells nieder, das selten auftretende Bedarfe nur unzulänglich erfasst.
Unterstützung gegen ablehnende Bescheide auf Gebührenermäßigungs-Anträge bietet evt. die Entscheidung des BVerfG vom 9.11.2011 - 1 BvR 665/10.
Danach muss zur Vermeidung einer willkürlichen Ungleichbehandlung auch Beziehern kleiner Einkommen, die nach Abzug der Rundfunk- und Femsehgebühr hilfebedürftig würden, eine Gebührenbefreiung zugestanden werden. Es könnte danach Art. 3 GG verletzt sein, wenn zwar Bezieher kleiner Einkommen in Höhe der SGB II-Bedarfe von der Ausweis-/Passgebühr befreit werden, nicht aber Alg II- Bezieher.
Teurer Dokumentenbedarf? Fallen ungewöhnlich hohe Kosten für Dokumente an (z.B. Klärung von Identitäts- oder Legimitationsfragen zum Zweck einer Heirat) oder entsteht der Bedarf als notwendiger Zusatz zu einem § 21 Abs. 6 SGB II-Bedarf (Reisepass für einen Flug zum Umgangskind), stellt sich die Frage, ob dieser strukturelle, atypische Einmalbedarf als Zuschuss (s. dazu LSG NRW vom 23.5.2011 - L 20 AY 19/08: über § 73 SGB XII) oder nur als Darlehen übernommen werden kann.
Hoher Sonderbedarf? Dieselbe Frage stellt sich für Aufwendungen, die ihrer Natur nach nur gelegentlich auftreten, aber mit hohen Kosten verbunden sind (z. B. Reise zur Hochzeit, Beerdigung etc.). Ob es für SGB II-Leistungsberechtigte nach dem BVerfG-Urteil vom 9.2.2010 dafür nur noch ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II gibt, muss gerichtlich geklärt werden.
Umwandlung Einmalbedarf in laufenden Sonderbedarf? Befindet sich der Leistungsberechtigte unverschuldet in einer Situation, die häufig, aber nicht laufend Zusatzkosten auslöst, kann daraus eine dauerhafte Überforderung erwachsen, wenn diese Kosten nur über ein Darlehen nach § 24 SGB II gedeckt werden. Hier wäre es aus Sicht eines Menschen mit geringen Einkünften sinnvoll, eine Versicherung abzuschließen (Brillenversicherung bei Epilepsie, Versicherung für Zahnreinigung oder Zahnersatz bei Problemgebiss etc.). Ein über § 21 Abs. 6 SGB II zu erfüllender Sonderbedarf erwächst dann in Form einer Übernahme der Versicherungsbeiträge.
Mehr? Arbeitslosenprojekt TuWas (Hg.) - Leitfaden zum Arbeitslosengeld II - Der Rechtsratgeber zum SGB II http://fhverlag.de/show.php?action=show&...&UID=jtAef94PYQ Die 9. Auflage bringt den "Leitfaden zum Arbeitslosengeld II. Der Rechtsratgeber zum SGB II" auf den Stand 1. Juli 2012.
Anmerkung vom Sozialberater Willi 2,freier Mitarbeiter des RA Ludwig Zimmermann: Das Jobcenter muss die Kosten eines Kinderreisepasses für einen 12-jährigen Schüler, der an einer Klassenfahrt nach England teilnimmt, nicht übernehmen(vgl. dazu SG Chemnitz,Beschluss v. 1. August 2012 – S 31 AS 3050/12 ER.
Für die Einreise nach England genügt ein Personalausweis als Ausweispapier,so die Begründung des Gerichts. Die Kosten für die Anschaffung eines Personalausweises sind vom Gesetzgeber bei der Bedarfsermittlung für den Regelsatz berücksichtigt worden. Sie sind deshalb aus der Regelleistung zu bestreiten. Die Kosten für den Reisepass können demzufolge nicht Teil der Kosten der Klassenfahrt sein.
Eine Zuschussleistung aus dem Bildungspaket kommt mithin ebenso wenig in Betracht wie ein Darlehen zur Deckung eines einmaligen Sonderbedarfs (§ 24 Abs. 1 SGB II).