Flüchtlingen wird das Geld gekürzt - Der Flüchtlingsrat geht davon aus, dass das gesamte Asylbewerberleistungsgesetz und nicht nur die Höhe der Leistungen grundgesetzwidrig ist.
Im Juli hatten sich Flüchtlinge in Brandenburg über mehr Geld gefreut. Das Bundesverfassungsgericht hatte die bisher weit unter dem Hartz-IV-Satz liegenden Beträge für nicht mit der Menschenwürde vereinbar erklärt und eine unverzügliche Änderung angemahnt. Provisorisch hatte das Gericht selbst eine Erhöhung verfügt: Ein allein lebender Erwachsener beispielsweise soll demnach zunächst 336 Euro bekommen statt nur 224 Euro.
»Die Menschen waren natürlich froh, denn mit dem wenigen Geld sind sie kaum zurecht gekommen«, sagt Simone Tetzlaff vom Flüchtlingsrat Brandenburg. Doch inzwischen werde deutlich: »Mehrere Landkreise setzen das Urteil zwar nach den Buchstaben um, nicht jedoch nach seinem Geist.« Denn die Richter hatten verlangt, wenn Flüchtlinge weniger Geld als Hartz-IV-Empfänger bekommen sollen, muss begründet werden, wo der geringere Bedarf besteht. Kürzungen dürfen laut Gericht nicht - wie bisher praktiziert - der Abschreckung von Asylsuchenden dienen.
Der Flüchtlingsrat beobachtet, dass seit Juli mehr Flüchtlinge als bisher zu seinen Beratungsstellen kommen, weil ihnen die Gelder deutlich gekürzt werden. Solche Kürzungen auf gut die Hälfte sind nach dem Asylbewerberleistungsgesetz möglich, wenn die Ämter behaupten, ein Flüchtling könne in sein Herkunftsland ausreisen, tue es aber nicht.
Ein anderer Kritikpunkt sind die Gutscheine: So habe es der Landkreis Oberhavel erst im September geschafft, mehr Geld auszuzahlen. »Als Nachzahlung für Juli und August gibt es überhaupt kein Bargeld, sondern nur Gutscheine«, rügt Tetzlaff.
Der Flüchtlingsrat geht davon aus, dass das gesamte Asylbewerberleistungsgesetz und nicht nur die Höhe der Leistungen grundgesetzwidrig ist.
»Die Gutscheine wurden eingeführt, damit Deutschland für neue Flüchtlinge unattraktiv wird.« Das Gutscheinsystem wurde aber in Karlsruhe nicht verhandelt. Der Flüchtlingsrat unterstützt darum Musterklagen vor dem Sozialgericht Neuruppin.
Anmerkung vom Sozialberater Willi 2,freier Mitarbeiter des RA Ludwig Zimmermann:
Verfassungswidrigkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes und Rechtsfolgen bis zur Neureglung durch den Gesetzgeber Anmerkung zu: BVerfG 1. Senat, Urteil vom 18.07.2012 - , 1 BvL 10/10, BVerfG 1. Senat, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 2/11 Autor: Daniela Evrim Öndül, RA'in und FA'in für Arbeitsrecht
Leitsätze(von juris)
1. Die Höhe der Geldleistungen nach § 3 AsylbLG ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 nicht verändert worden ist.
2. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - BVerfGE 125, 175). Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.
3. Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann.