Hartz IV - Empfänger saß circa eineinhalb Jahre im Dunkeln - Stromsperre - Jobcenter muss das Licht wieder anknipsen
Denn auch die das Bewohnen einer Wohnung im üblichen Rahmen gewährleistende Energieversorgung gehört zum menschwürdigen Existenzminimum, auf dessen Gewährleistung sich ein Anspruch gegen den Staat unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ableiten lässt(vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09).
Dies ist bei der Auslegung des den Leistungsanspruch konkretisierenden SGB II sowohl von den Leistungsträgern als auch von den Gerichten zu beachten.
Eine lang andauernde Stromsperre(eineinhalb Jahre)ist vergleichbar mit drohender Wohnungslosigkeit im Sinne von § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II,so die Rechtsauffassung des LSG Sachsen-Anhalt,Beschluss v. 13.03.2012,- L 2 AS 477/11 B ER -.
Der Verweis auf Selbsthilfemöglichkeiten (Wechsel zu einem anderen Anbieter oder die Aufhebung der Stromsperre notfalls durch die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem Energieversorgungsunternehmen bei dem zuständigen Zivilgericht zu erreichen) ist dem Hilfebedürftigem nur bei entsprechender Hilfestellung bzw. Beratung durch das Jobcenter möglich(siehe dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. August 2011, L 5 AS 10907/11 B ER).
Ein Fall des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II, der bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen im Rahmen einer intendierten Ermessensentscheidung eine Schuldenübernahme grundsätzlich vorsieht, so dass diese nur in atypischen Situationen zu versagen wäre, ist vorliegend gegeben .
Dafür ist maßgeblich, dass hier aufgrund des langen Zeitraums von eineinhalb Jahren ohne Stromversorgung eine Fallkonstellation vorliegt, die wertungsmäßig einer drohenden Wohnungslosigkeit im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II entspricht.
Anmerkung vom Sozialberater Willi 2,freier Mitarbeiter des RA Ludwig Zimmermann:
Bei einer Unterbrechung der Stromversorgung kann nur eine vergleichbare Notlage im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II vorliegen, weil das Mietverhältnis an sich durch die Stromunterbrechung nicht beeinträchtigt werde (vgl.LSG Berlin-Brandenburg v. 08.08.2011 – L 5 AS 1097/11 B ER und v. 23.09.2011 – L 14 AS 1533/11 B ER; LSG Rheinland-Pfalz v. 27.12.2010 – L 3 AS 557/10 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen v. 28.05.2009 – L 7 AS 546/09 B ER; Lauterbach in Gagel, SGB III/SGB II, § 22 SGB II, RdNr. 137).
Voraussetzung für die nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II vom Leistungsträger zu treffende Ermessensentscheidung über eine Darlehensgewährung ist jedoch, dass die Schuldenübernahme "gerechtfertigt" wäre.
Bei diesem Tatbestandsmerkmal der Rechtfertigung handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, in den auch Billigkeitserwägungen einfließen (LSG Berlin-Brandenburg vom 23.09.2011 – L 14 AS 1533/11 B ER).
Es ist nur erfüllt, wenn die Schuldenübernahme zur Beendigung der Notlage geeignet ist und der Hilfesuchende alle zumutbaren Möglichkeiten der Selbsthilfe ausgeschöpft hat. Zudem kommt es darauf an, inwieweit den Schulden ein missbräuchliches Verhalten der Hilfebedürftigen zugrunde liegt (LSG Baden-Württemberg v. 01.03.2011 – L 12 AS 622/11 ER-B; LSG Berlin-Brandenburg vom 23.09.2011 – L 14 AS 1533/11 B ER, v. 22.07.2010 – L 5 AS 1049/10 B ER, v. 21.07.2009 – L 34 AS 1090/09 B ER, v. 02.06.2009 – L 14 AS 618/09 B ER; Lauterbach in Gagel, SGB III/SGB II, § 22 SGB II, RdNr. 138; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen v. 04.09.2009 – L 13 AS 52/09 B ER und 09.06.2010 – L 13 AS 147/10 B ER; LSG Meckenburg-Vorpommern v. 29.09.2011 – L 8 B 509/09 ER; LSG Rheinland-Pfalz v. 27.12.2010 – L 3 AS 557/10 B ER und Münder in LPK, Komm. zum SGB II, § 22 RdNr. 189, wonach dieser Umstand erst im Rahmen der Ermessensentscheidung bedeutsam wird; ausdrücklich offengelassen in LSG Sachsen-Anhalt v. 13.03.2012 – L 2 AS 477/11 B ER).
Nach anderer Auffassung liegt bei einer Stromsperre regelmäßig eine der Wohnungslosigkeit nahe kommende Notlage vor, so dass stets ein Anwendungsfall des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II anzunehmen und eine Schuldenübernahme nur in atypischen Fällen zu versagen sei. Denn die faktische Unbewohnbarkeit einer Wohnung infolge einer Sperrung der Energiezufuhr stehe dem Verlust der Unterkunft gleich (vergl. SG Bremen, Beschluss vom 5. April 2011 – S 23 AS 497/11 ER).
Rechtsprechungshinweis: LSG NRW,Beschluss vom 22.02.2012, - L 7 AS 1716/11 B -
Ein Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende darf bei drohender Stromsperre nicht ausnahmslos vorrangig auf die Inanspruchnahme zivilrechtlichen Rechtsschutzes verwiesen werden.
Es bedarf unter Berücksichtigung der Dauer und der nicht einzuschätzenden Erfolgsaussicht eines zivilrechtlichen Rechtsstreites der Prüfung, ob die Antragstellerin zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat und inwieweit der Antragsgegner zu einer Beratung und Hilfestellung verpflichtet war (LSG NRW, Beschluss vom 02.04.2008 - L 7 B 251/07 AS ER; Hammel, info also 6/2011, 251 ff.;Berlit in LPK-SGB II, Kommentar zum SGB II, 4. Auflage 2011, § 22 Rn. 194 ).
Leitsatz zum Lesetipp: Ein Fall der drohenden Wohnungslosigkeit im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II liegt nicht vor, da das Mietverhältnis durch die Unterbrechung der Stromversorgung nicht beeinträchtigt wird.