Hartz IV : Vollständige Versagung des Arbeitslosengeld II nach § 66 SGB I wegen fehlender Mitwirkung bei der Klärung der Erwerbsfähigkeit ist grundsätzlich möglich
So die Rechtsauffassung des Bayerischen Landessozialgerichts,Beschluss vom 31.08.2012,- L 7 AS 601/12 B ER -
Weigert sich ein Hartz IV - Empfänger zwecks Klärung seiner Erwerbsfähigkeit den Gesundheitsfragebogen und die Schweigepflichtentbindung vorzulegen,die Unterlagen in einem verschlossenen Umschlag entweder an das Jobcenter oder direkt an den ärztlichen Dienst der BA zu übersenden,ist eine Versagung des ALG II grundsätzlich möglich.
Bei den Regelungen zu Sanktionen handelt es sich nicht um Sondervorschriften zur Versagung nach § 66 SGB I(anderer Auffassung Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 59 Rn. 25; LSG Hessen, Beschluss vom 22.06.2011, L 7 AS 700/10 B ER) .
Sanktionen beziehen sich darauf, Leistungen wegen eines Fehlverhaltens zu vermindern, deren sonstige Anspruchsgrundlagen geklärt sind. Die Versagung soll dagegen eine Mitwirkung durchsetzen, weil die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind. Es handelt sich also um verschiedene Zielrichtungen.
Dementsprechend haben die beiden Regelungsbereiche auch unterschiedliche Voraussetzungen. Hinzu kommt, dass für verschiedene Mitwirkungspflichten des § 60 SGB I im SGB II keine Sanktionen vorgesehen sind, wie etwa im vorliegenden Fall für die Angabe von Tatsachen und die Zustimmung zur Erteilung von Auskünften durch Dritte nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I.
Eine Versagung existenzsichernder Leistungen (hier Arbeitslosengeld II) nach § 66 SGB I ist grundsätzlich möglich. Sie wird durch die Regelungen zu Sanktionen nach §§ 31 ff SGB II nicht verdrängt und auch durch die Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs. 1 SGB II nicht in Frage gestellt.
Das Spannungsverhältnis zwischen den vorgenannten Regelungen ist im Rahmen der Ermessensausübung bei der Versagung zu lösen. Wenn die Erwerbsfähigkeit fraglich ist, soll die Mitwirkung klären, ob das Jobcenter oder der Sozialhilfeträger zuständig ist. Die Regelungen zu den Sanktionen machen deutlich, dass ein vollständiger Wegfall existenzsichernder Leistungen nur bei beharrlichen Pflichtverletzungen erfolgen soll.
Wenn eine vollständige Versagung wegen fehlender Mitwirkung bei der Klärung der Erwerbsfähigkeit wegen einer vermuteten psychischen Erkrankung erfolgen soll, müssen die Ermessenserwägungen darauf eingehen, warum trotz den vorgenannten Gesichtspunkten in diesem Fall eine vollständige Versagung des Existenzminimums ermessensgerecht sein soll.
Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung bewirken nicht, dass Sozialleistungen zu gewähren sind, wenn deren Anspruchsvoraussetzungen nicht geklärt sind.
Anmerkung vom Sozialberater Willi 2,freier Mitarbeiter des RA Ludwig Zimmermann:
Wenn eine Versagung wegen fehlender Mitwirkung bei der Klärung der Erwerbsunfähigkeit wegen einer vermuteten psychischen Erkrankung erfolgen soll, müssen die Ermessenserwägungen darauf eingehen, warum in diesem Fall eine vollständige Versagung des Existenzminimums angemessen und verhältnismäßig ist.
Daran fehlt es hier. Der Versagungsbescheid ist nicht rechtmäßig und steht einer Leistungsverfügung im einstweiligen Rechtsschutz nicht entgegen.
Die Voraussetzungen, Leistungen nach § 66 SGB I einzustellen, sind sehr hochgesetzt und nur in den allerseltensten Fällen tatsächlich durchsetzbar(vgl.: Münder/Berlit, Lehr- & Praxiskommentar SGB II, 4. Aufl. 2011, Anhang Verfahren, ab Rn.18).
Meyerhoff in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 59:
"§ 59 SGB II ist i.V.m. § 309 SGB III im Zusammenhang mit den §§ 60 ff. SGB I zu sehen, insbesondere mit § 61 SGB I, der das persönliche Erscheinen des Leistungsempfängers bzw. Antragstellers anordnet.
Die Anwendung der beiden Vorschriften ist grundsätzlich alternativ nebeneinander möglich(zum SGB II: Sander in: GK-SGB II, § 59 Rn. 10; LSG NRW v. 29.05.2009 - L 19 B 105/09 AS ER - juris Rn. 5,anderer Auffassung LSG Sachsen-Anhalt v. 20.02.2009 - L 5 B 376/08 AS ER - juris Rn. 50; LSG Hessen v. 22.06.2011 - L 7 AS 700/10 B ER - juris Rn. 23; Padé, jurisPR-SozR 20/2009, Anm. 1).
Eine Wahlmöglichkeit ist deshalb nicht obsolet, weil durch die vorläufige vollständige Leistungsversagung nach § 66 SGB I eine für die Entscheidung über Leistungsansprüche erforderliche Mitwirkungshandlung innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes durchgesetzt werden kann(Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB II, § 59 Rn. 6)."