Welche Gründe rechtfertigen ausnahmsweise die weitere Übernahme der unangemessenen KdU durch den Grundsicherungsträger nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II über den 6 Monatszeitraum hinaus Dazu beispielsweise das Bayerische Landessozialgericht, Urteil vom 27.09.2012 - L 8 AS 646/10 .
1. Gesundheitlichen Beschwerden rechtfertigen ausnahmsweise die weitere Übernahme der unangemessenen KdU durch den Grundsicherungsträger nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II über den 6 Monatszeitraum hinaus, wenn dem Leistungsberechtigten ein Wohnungswechsel nicht zumutbar ist.
2. An die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl.auch BSG 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 19; 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R).
3. Der vorliegende Fall erfüllt die strengen Anforderungen an die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit und stellt einen seltenen Ausnahmefall dar, der nicht verallgemeinerungsfähig ist. Das bloße Behaupten einer Suizidgefahr bei möglichem Verlust der Wohnung wird auch künftig nicht zu einer Unzumutbarkeit führen.
4. Zur Überzeugung des Senats liegt in diesem Einzelfall eine subjektive Unzumutbarkeit des Umzuges vor. Der Senat stützt diese Erkenntnis im wesentlichen auf das schlüssige und nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden erstellte psychiatrische Gutachten, das nach § 109 SGG eingeholt wurde.
Anmerkung:
Der vorliegende Fall rechtfertigt die Annahme eines seltenen Ausnahmefalles der Unzumutbarkeit eines Umzuges aus gesundheitlichen Gründen unter Berücksichtigung der hierzu in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten.
So führt beispielsweise Berlit (in Münder LPK SGB II, 4. Auflage, § 22 Rn.76 - 79) aus, dass die in der Regel auf längstens sechs Monate befristete Übernahme unangemessener Aufwendungen und die Obliegenheit zu deren Senkung sich allein auf den Teil der Unterkunftskosten bezieht, der den im Einzelfall angemessenen Umfang überschreitet.
Die befristete Bestandsschutzregelung gilt danach grundsätzlich für Leistungsberechtigte, die bei Leistungsbeginn in einer unangemessen teuren Unterkunft leben. An die Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen (BSG 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 19; 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R).
Die Möglichkeit und Zumutbarkeit umgehender und nachzuweisender Kostensenkungsbemühungen - auch durch Umzug - sind in aller Regel anzunehmen. Der Leistungsberechtigte hat allerdings Anspruch darauf, dass seinem grundsätzlich zu respektierenden Recht auf Verbleib in seinem sozialen Umfeld ausreichend Rechnung getragen wird (BSG 07.11.2006 - B 7 b AS 10/06 R - FEVS 58, 248; B 7 b 18/06 R - FEVS 58, 271); dies ermöglicht auch die Berücksichtigung einer hohen affektiven Bindung an eine bestimmte Unterkunft nach jahrzehntelanger Nutzung bei drohender Aufgabe des vertrauten Lebenskreises (a.A. noch - zum BSHG - OVG HH 15.08.2000 - 4 Bs 183/00 - FEVS 53, 65).
Was für die Bestimmung der abstrakten Angemessenheit der Unterkunftskosten gilt, gilt auch für die Zumutbarkeit eines Umzuges bei unangemessen hohen Unterkunftskosten. Gewährleistet wird indes nicht der Verbleib in einer konkreten Unterkunft oder dem unmittelbaren Wohnumfeld; vielmehr soll sozialer Entwurzelung oder einer Entwertung als elementar qualifizierter Kontakte und Lebensgewohnheiten vorgebeugt werden (SG Berlin 08.05.2007 - S 102 AS 3626/07 ER); ein Umzug innerhalb des örtlichen Vergleichsraums ermöglicht wegen der für die Vergleichsraumbildung vorausgesetzten Vernetzung, soziale Bindungen auch nach Umzügen aufrecht zu erhalten (BSG 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R).
Ein Wechsel in Wohnquartiere, die in einer in angemessener Zeit überwindbaren Entfernung gelegen sind, ist regelmäßig nicht unzumutbar; Anfahrtswege mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wie sie Erwerbstätigen oder Schülern zugemutet werden, sind hinzunehmen (BSG 19.02.2009 - B 4 AS 30/06 R).
Bleibt der Kontakt zum so verstandenen sozialen Umfeld (i.w.S.) erhalten, ist der Umzug regelmäßig zuzumuten, soweit nicht besondere Gründe, insbesondere grundrechtsrelevante Sachverhalte oder Härtefälle, gegen einen Wohnungswechsel oder ein Verlassen des sozialen Nahbereichs (soziales Umfeld i.e.S.) sprechen (BSG 19.02.2009 - B 4 AS 30/06 R).
Für das Gewicht, dem das soziale Umfeld bei der Zumutbarkeit einer Kostensenkung durch Umzug beizumessen ist, ist u.a. abzustellen auf die Art der (schutzwürdigen) Bindungen auch an das unmittelbare Umfeld (Nachbarschaft; Schule; Betreuungseinrichtungen), die typischerweise nach dem Alter unterschiedlichen Umstellungsschwierigkeiten (zur besonderen Berücksichtigung des Rechts auf Verbleib älterer Menschen in ihrem langjährig vertrauten sozialen Umfeld bei der Gewährung von Grundsicherung im Alter s. BSG 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R) und die erwartbaren individuellen Fähigkeiten, diese zu bewältigen, oder ein Angewiesensein auf bestimmte "Versorgungseinrichtungen" (z.B. ärztlichen Beistand) bzw. Betreuungspersonen.
Allein die hiermit typischerweise verbundenen Belastungen durch einen Umzug machen diesen nicht unzumutbar (LSG BE-BB 05.12.2007 - L 28 B 2089/07 AS ER - ZfSH/SGB 2008, 94); es muss sich um eine vom Durchschnitt abweichende besondere Belastungssituation handeln, die den Verbleib in der bisherigen Wohnung erfordert.
In Betracht kommen z.B. Gebrechlichkeit bei hohem Alter, aktuelle schwere Erkrankung (LSG BE-BB 05.12.2007 - L 28 B 2089/07 AS ER - ZfSH/SGB 2008, 94), Behinderung (SG Oldenburg 31.10.2005 - S 47 AS 256/05 ER; LSG NI-HB 21.04.2006 - L 6 AS 248/06 ER; LSG BE-BB 14.06.2007 - L 10 B 391/07 AS ER), schwere psychische Erkrankung und Suizidgefahr bei Verlust des gewohnten Umfeldes (SG Berlin 11.09.2008 - S 26 AS 14505/08 ER; LSG NW 06.08.2007 - L 19 AS 35/06), ohnehin aus anderem Grunde (z.B. Ortswechsel wegen Arbeitsaufnahme) anstehender weiterer Umzug oder alsbaldiges Ausscheiden aus dem Leistungsbezug (s. SG Augsburg 06.09.2005 - S 1 AS 273/05; SG Düsseldorf 08.08.2006 - S 35 AS 172/06 ER [Schwerbehinderung; bedarfsdeckende Altersrente in zehn Monaten]).