Normen: § 16 SGB 2, § 16d SGB 2, § 144 SGB 3, § 48 SGB 3, § 31 SGB 10 Fundstelle: jurisPR-SozR 5/2012 Anm. 1 Herausgeber: Prof. Dr. Thomas Voelzke, Vors. RiBSG Prof. Dr. Rainer Schlegel, Ministerialdirektor, Bundesministerium für Arbeit und Soziales Zuweisung eines Ein-Euro-Jobs als Verwaltungsakt
Leitsätze
1. Wenn in einer Eingliederungsvereinbarung keine Konkretisierung über den Inhalt einer Arbeitsgelegenheit vorgenommen worden ist, erfolgen die dann noch notwendigen Festlegungen durch einseitige Regelung des Trägers der Grundsicherung als Verwaltungsakt. 2. Für einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch kommt es wegen der Prüfung des Rechtsgrundes für die geleistete Arbeit nicht allein auf das Vorliegen einer Eingliederungsvereinbarung, sondern auch auf die Regelungen in diesem Zuweisungsbescheid an.
A. Problemstellung Arbeitsgelegenheiten gegen Mehraufwandsentschädigung nach § 16d Satz 2 SGB II (sog. Ein-Euro-Jobs) finden in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis statt. In Rechtsprechung und Schrifttum bestand lange Zeit Uneinigkeit darüber, wie ein solches Rechtsverhältnis zustande kommt. Die Frage ist von erheblicher praktischer Bedeutung; denn wenn es an einer wirksamen rechtlichen Grundlage für die vom Ein-Euro-Jobber geleistete Arbeit fehlt, kann dieser unter Umständen einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch geltend machen. Nun hat das BSG sich des Themas angenommen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger bezog Leistungen nach dem SGB II. Er schloss mit dem Grundsicherungsträger eine Eingliederungsvereinbarung, in der er sich verpflichtete, bei einem entsprechenden Angebot eine öffentlich geförderte Beschäftigung aufzunehmen. Sodann schlug der Grundsicherungsträger ihm eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (Aufsammeln von Müll) bei einem Maßnahmeträger vor. Gegen das Schreiben legte der Kläger Widerspruch ein, nahm aber, nachdem er beim Maßnahmeträger eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet hatte, die vorgeschlagene Tätigkeit auf und arbeitete dort knapp drei Monate lang.
Nachdem er seine Arbeit eingestellt hatte, machte er vor dem Sozialgericht die Rechtswidrigkeit der Arbeitsgelegenheit geltend und klagte auf Wertersatz für die geleistete Arbeit. Nachdem die Klage keinen Erfolg hatte, legte der Kläger Sprungrevision zum BSG ein. Diese führte zur Zurückverweisung der Sache.
Im Hinblick auf die begehrte „Feststellung“ der Rechtswidrigkeit der Arbeitsgelegenheit hält das BSG die Anfechtungsklage gegen das Schreiben, mit dem ihm diese zugewiesen worden war, für die statthafte Klageart. Wenn der Träger der Grundsicherung einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine bestimmte Arbeitsgelegenheit nach § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II a.F. (heute: § 16d Satz 2 SGB II) zuweise, handele es sich „nach dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelungen regelmäßig um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X“.
Diese Einordnung begründet das BSG wie folgt: Das Gesetz gebe für die Arbeitsgelegenheiten nur einen weit gestreckten Rahmen vor, der im Einzelfall durch Festlegungen hinsichtlich des konkreten Inhalts der Arbeitsgelegenheit und der Mehraufwandsentschädigung auszufüllen sei (Rn. 15). Jedenfalls wenn in einer Eingliederungsvereinbarung oder einem sie ersetzenden Verwaltungsakt keine Konkretisierung vorgenommen worden sei, bedürfe es dieser Festlegungen „im Nachgang“. Anders als bei einem Arbeitsangebot i.S.v. § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III oder einem Angebot einer Trainingsmaßnahme nach § 48 SGB III erschöpfe sich die Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit regelmäßig nicht im Nachweis einer Gelegenheit zum Vertragsschluss mit dem Maßnahmeträger oder in einer bloßen behördlichen Vorbereitungshandlung.
Vielmehr bestimme die Zuweisung abschließend gegenüber dem Hilfebedürftigen, welche Leistungen zu seiner Eingliederung in Arbeit vorgesehen seien, damit er auf dieser Grundlage seine Entscheidung über die Teilnahme an der Maßnahme treffen könne. Da mit der Zuweisung auch über die Gewährung einer Eingliederungsleistung entschieden werde, sei es für die Verwaltungsaktqualität unerheblich, dass das vom Hilfebedürftigen erwartete Verhalten vom Träger nicht vollstreckt werden könne.
Für den Anspruch auf Wertersatz aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs hält das BSG die Leistungsklage für die statthafte Klageart. Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen sah es sich aber außerstande, die Begründetheit der beiden Klageanträge zu beurteilen.
C. Kontext der Entscheidung Die beiden für das SGB II zuständigen Senate des BSG haben sich binnen relativ kurzer Zeit in drei Urteilen mit den Rechtsfolgen einer rechtsgrundlos wahrgenommen Mehraufwands-Arbeitsgelegenheit befasst (neben dem hier besprochenen noch die Urteile vom 13.04.2011 - B 14 AS 98/10 R, und vom 27.08.2011 - B 4 AS 1/10 R).
Die vorliegende Entscheidung setzt sich allerdings v.a. mit den rechtlichen Entstehungsbedingungen einer Arbeitsgelegenheit auseinander. Eine solche findet in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis statt, das irgendwie begründet werden muss. Fehlt ein rechtlich wirksamer Begründungsakt, fehlt es an einem Rechtsgrund für die vom Ein-Euro-Jobber erbrachte Arbeitsleistung, und er kann möglicherweise einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch geltend machen (vgl. dazu BSG v. 13.04.2011 - B 14 AS 98/10 R).
In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum ist seit jeher umstritten, ob ein „Angebot“ oder „Vorschlag“ einer Arbeitsgelegenheit einen Verwaltungsakt darstellt. Teils werden solche Schreiben als „Heranziehungsbescheid“ bezeichnet, teils als „Zuweisungsbescheid“, teils wird differenziert zwischen dem Vorschlag einer Arbeitsgelegenheit und der darauf folgenden Begründung eines Rechtsverhältnisses durch „Zuweisung“ (vgl. dazu Harks in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2011, § 16d Rn. 50 ff., m.w.N.). Kontrovers diskutiert wird, unter welchen Voraussetzungen eine Regelung i.S.d. § 31 Satz 1 SGB X vorliegt.
Das Vorliegen einer Regelung lässt sich nicht mit dem Aspekt der „Heranziehung“ begründen. Der Leistungsberechtigte ist nicht zur Wahrnehmung einer Arbeitsgelegenheit verpflichtet. Ihn trifft vielmehr eine Obliegenheit. Er kann also nicht quasi zur Arbeit einberufen werden. Entsprechend sind die fraglichen Schreiben i.d.R. als „Vorschlag“ formuliert. Eine Regelung ist aber notwendig, um das Rechtsverhältnis zu begründen, das Grundlage der Arbeitsgelegenheit sein soll. Sie findet nicht zwischen Leistungsberechtigtem und Maßnahmeträger statt, sondern zwischen Leistungsberechtigtem und Leistungsträger. Dabei bedürfen diverse Einzelfragen der Regelung: Welche Arbeit soll geleistet werden? Wie lange und in welchem Umfang? Gegen welche Entschädigung?
Von diesem Regelungsbedürfnis her und damit durchaus ergebnisorientiert argumentiert das BSG im vorliegenden Urteil: Wenn sich die zur Begründung des Rechtsverhältnisses benötigte Regelung im Einzelfall nicht anderweitig finden lässt, z.B. in der Eingliederungsvereinbarung, dann ist sie in dem Schreiben zu sehen, mit dem die Arbeitsgelegenheit vorgeschlagen wird. Das allerdings wohl nur dann, wenn dieses Schreiben die „essentialia“ der Arbeitsgelegenheit enthält (vgl. Rn. 17; noch deutlicher: BSG v. 27.08.2011 - B 4 AS 1/10 R Rn. 31 f.).
D. Auswirkungen für die Praxis Der Ansatz des BSG kann im Einzelfall zu beachtlichen Unsicherheiten bei der Frage nach dem Vorliegen eines Verwaltungsakts und damit auch bei der Frage nach dem richtigen Rechtsschutz führen. Ein und dasselbe Formschreiben kann mal ein Verwaltungsakt sein, ein anderes Mal aber nicht, nämlich dann, wenn schon die Eingliederungsvereinbarung die nötigen Einzelheiten enthält. Außerdem verschwimmt die Trennlinie zwischen der Prüfung der Verwaltungsaktqualität und der der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts: Ein Schreiben, das die vorgeschlagene Arbeitsgelegenheit nicht hinreichend konkret umschreibt, ist danach kein rechtswidriger Verwaltungsakt, sondern überhaupt keiner (BSG v. 27.08.2011 - B 4 AS 1/10 R).
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Zusätzliche Fragen wirft das Urteil im Hinblick auf die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs auf. Dieser kommt, wie das Gericht selbst betont, dann in Betracht, wenn die fragliche Leistung ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Trotzdem lässt das Gericht ausdrücklich offen, ob ein Leistungsberechtigter auch dann Wertersatz für die geleistete Arbeit verlangen kann, wenn er einen rechtswidrigen Zuweisungsbescheid nicht angegriffen hat (Rn. 23), dieser also – solange er nicht ausnahmsweise nichtig ist – als möglicher Rechtsgrund weiter besteht.
Ebenso wirft der Senat die Frage auf, ob ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch auch in Fällen in Betracht kommt, „in denen sich die Zuweisung in eine Arbeitsgelegenheit aus anderen (z.B. personenbezogenen) Gründen als rechtswidrig erweist“. Diese Ausführungen überraschen, weil hier offenbar nicht mehr nach dem Vorliegen eines Rechtsgrundes gefragt wird, sondern nach der Rechtswidrigkeit des den Rechtsgrund schaffenden Verwaltungsakts.